Heilpädagogische Forschung

Rezension Heft 1 Jahrgang 2014

Willmann, Marc (2012). De-Psychologisierung und Professionalisierung der Sonderpädagogik. Kritik und Perspektiven einer Pädagogik für „schwierige“ Kinder. München: Ernst-Reinhardt-Verlag, 195 Seiten, 29,90 €.

Der Buchtitel fällt als Provokation bereits in mehrfacher Hinsicht ins Auge: Soll hier der Stand einer ganzen wissenschaftlichen Disziplin in Frage gestellt werden, wie sie aktuell von der überwiegenden Mehrheit der Lehrstuhlinhaber vertreten wird? Der Leser fragt sich unwillkürlich, welche alternativen Wissenschaftsansätze aus der De-Psychologisierung der Autor wohl aufzeigen wird und wie Professionalisierung auf anderen Wegen erreicht werden soll. Um zu eigenen Antworten zu finden, spannt Marc Willmann einen weiten fachlichen Bogen. So wird in der Einleitung erst einmal festgestellt, dass es bisher nicht gelungen sei, die Zielpopulation hinreichend klar abzugrenzen, dass Verhaltensstörungen als Beziehungs- und Interaktionsstörungen zu betrachten sind, dass man das Feld den Bezugsdisziplinen, vor allem der Medizin und der Psychologie überlassen hat (ohne dass der Autor eine vollständige Abkehr meint), dass die Gruppe der ‚schwierigen‘ Kinder nur schwer fassbar sei – nicht jedes schwierige Kind sei verhaltensgestört –, und dass es in dieser Schrift auf eine Rückbesinnung in Richtung auf eine „Erziehungshilfepädagogik“ ankäme.

Die ersten drei Kapitel sind überschrieben mit dem ziemlich langen Titel „Pädagogik bei Verhaltensstörungen als Profession und Disziplin: Institutionalisierung und Ausdifferenzierung erzieherischer Hilfen und einer speziellen Pädagogik für ‚schwierige‘ Kinder“, eine wohl etwas überladene Titulatur. Im 1. Kapitel wird eine „Zeitdiagnose“ versprochen hinsichtlich „Postmoderner Kindheit und pädagogischer Krisenrhetorik“. Ausführlich werden Stichwörter wie Bildungsmisere, Erziehungsversagen, unrealistische Erwartungen, Sozialdefizite, Überforderung, Ratlosigkeit, Kindeswohlgefährdung etc. besprochen und auf gesellschaftliche Fehlentwicklungen wie „Pädotainment“ (wie bei der „Super-Nanny“ gegeben), „konfrontative Pädagogik“ und medialen Voyeurismus angewandt. Solche Erziehungskritik wird von einer allgemeinen Werte- und Kulturkritik überlagert, wie Willmann schreibt. Diese erziehungsphilosophischen Gedanken münden in der Warnung vor zwei Irrwegen, nämlich den einer rückwärts gewandten Restauration autoritärer Erziehungskonzepte einerseits und den der vorwärts gewandten Flucht in technologische Lösungen andererseits.

In Kapitel 2 befasst sich Willmann mit der Geschichte der Pädagogik mit „schwierigen“ Kindern, hier werden zunächst gewandelte Erziehungsmethoden und Grenzen der Pädagogik, aber auch die veränderten Begrifflichkeiten reflektiert. Es erfolgt sodann ein Rekurs auf die in der Jahrhundertwende gängigen moralischen und psychopathologischen Konzepte und die ersten Anfänge der Einrichtung von Sonderklassen.

Im 3. Kapitel geht es schließlich um die Institutionalisierung und Ausdifferenzierung der Disziplin – auf dem Hintergrund von Myschkers berühmten fünf historiografischen Linien. In einem Unterkapitel zur schulischen Erziehungshilfe wird auf Probleme dieser Einrichtung und auf aktuelle Entwicklungen und Statistiken sowie auf die außerschulische Erziehungshilfe (Psychiatrien, Kinder- und Jugendhilfe, Strafvollzug) eingegangen; in einer Tabelle auf Textseite 41 werden die vier Systeme anschaulich gegenübergestellt. Es folgen dann Ausführungen zum Werdegang des Faches als wissenschaftlicher Disziplin, und nochmals wird der Einfluss der Medizin (‚Medico -Pädagogik‘) nachgezeichnet, bis sich schließlich eine gewisse Eigenständigkeit einer Heil- und Sonderpädagogik durchgesetzt habe. Betont wird weiterhin: Eigenständige deutsche Universitätslehrgänge haben sich erst nach dem 2. Weltkrieg im Rahmen einer Expansion des Sonderschulwesens durchgesetzt. Der Autor verfolgt konkret die Lehrstuhlbesetzungen im Fach ab 1964, die Auflistung der entsprechenden Lehrstuhlbesetzungen erscheint mit einigen Abstrichen auch korrekt niedergelegt.

Das 4. Kapitel ist – wiederum anspruchsvoll – überschrieben mit „Klinische Perspektive: Verhaltensstörungen und psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen als Psychopathologie“. Hier geht es dem Autor um klinische Definitionen für Verhaltensstörungen, um die Prävalenz insbesondere von neun Einzelsymptomen und um die Komorbidität von Verhaltensstörungen als Koinzidenz verschiedener Störungsformen – in Anlehnung an Döpfner –, was für die Sonderpädagogik mit der Begründung als unmittelbar relevant beurteilt wird, weil die traditionelle Kategorisierungslogik damit infrage gestellt würde. Im Weiteren geht es um die Darlegung und Einordnung der gängigen Klassifikationssysteme ICD und DSM, ASEBA und OPD-KJ. Das Unterkapitel über Behandlung und Intervention führt zu sog. multimodalen und theorieintegrativen Ansätzen, ohne dass dazu – vermutlich aus Platzgründen – differenziertere Ausführungen erfolgen.

Kapitel 5 trägt wiederum eine ambitionierte Überschrift: „(Sonder-)Pädagogische Perspektive: emotional-soziale Schwierigkeiten und Verhaltensauffälligkeiten von Kindern und Jugendlichen als Probleme der Erziehung“. Zunächst wird die Statistik bemüht und die Entwicklung sonderpädagogischer Förderquoten nachverfolgt und deren Korrektheit zugleich in Zweifel gezogen und das Problem der Klassifikation von schulisch relevanten Verhaltensstörungen nochmals andiskutiert. Es gäbe keine klaren Kriterien zur Bestimmung der Schülerpopulation (S. 81), so lautet eine Schlussfolgerung. Aber auch eine „pädagogische Klassifikation schulischer Erziehungsschwierigkeiten“ (S. 82) weise Mängel auf; die Schlussfolgerung lautet, dass der deskriptive Zugang zum konkreten Einzelfall am Anfang der Reflexion stehen müsse. Im Unterkapitel zur Diagnostik und Begutachtung werden die hinlänglich bekannten kritischen Gesichtspunkte zusammengetragen, eine dialektische Verschränkung von Diagnostik und Förderung käme einem modernen Verständnis besser entgegen als eine reine Statusdiagnostik. Die gängige Begutachtungspraxis wird skeptisch beurteilt („unverantwortlich“, „unprofessionell“), letztlich gingen die Probleme auf die mangelhafte Klärung des eigentlichen Gegenstandsbereiches zurück, wobei die bereits angesprochene Komorbidität (s.o.) erschwerend hinzukomme. Der Stellenwert von ICD (s.o.) und MAD werden nochmals erörtert. Es solle eine Umorientierung der Diagnostik in Richtung auf eine verstehende Diagnostik, auf sozialpädagogisches Fallverstehen im Sinne eines hermeneutisch-kasuistischen Ansatzes (S. 98) stattfinden, bei der auch die Selbstdeutung der Kinder und Jugendlichen einginge. Zu selten würde in der Praxis auf hermeneutische Deutungsdiagnostik durch Fallbesprechungen oder psychoanalytisch-pädagogisches Fallverstehen des „schwierigen“ Kindes zurück gegriffen.

Den sonderpädagogischen Interventionen ist ein weiteres, allerdings sehr kurz geratenes Unterkapitel gewidmet. Es gäbe einen engen Zusammenhang zwischen Pädagogik und Therapie, die jedoch nur bei gravierenden Störungen notwendig werden sollte. Dabei wird der gegenwärtige Boom von Trainingsprogrammen scharf aufs Korn genommen: „Durch die Reduzierung auf Verhaltensmodifikation und soziales Kompetenztraining verabschiedet sich die Pädagogik zusehends von einem umfassenden Bildungsanspruch“ (S. 100) – so das Resümee. Abschließend werden primäre, sekundäre und tertiäre Prävention kurz gestreift, wobei – zum Gefallen des Rezensenten – auch die funktionale Verhaltensanalyse aufgeführt wird, allerdings ohne deren zukunftsweisenden Stellenwert auch nur anzudeuten.

Der letzte Teil der Publikation ist mit einem längeren Obertitel überschrieben, in dem sich der Buchtitel wiederfindet und zudem ein Versprechen abgegeben wird: „De-Psychologisierung und Professionalisierung der Sonderpädagogik: Zur Reformulierung einer pädagogischen Position für die schulische Erziehung ‚schwieriger‘ Kinder“.

Zur „Psychologisierung und Therapeutisierung von Erziehung und Bildung“ werden im folgenden Kapitel 6 Gedanken aufgenommen, die bereits in den ersten Kapiteln angeklungen waren. Psychologisierung wird zunächst definiert als einseitige Zuspitzung und Immunisierung gegen andere, konkurrierende Erklärungen, dann etwas platter als „Wilderei in fremden Töpfen“. Das ginge bis zur Selbstaufgabe und Beraubung der eigenen Disziplin. Erziehung und Erziehungshandeln müssten nicht psychologisch begründet werden, der Nutzen der Psychologie bleibe generell begrenzt. Die empirische Wende der Erziehungswissenschaft hätte zu einem folgenschweren Selbst(miss)verständnis geführt. „Während die Psychoanalyse als entwicklungspsychologischer Ansatz noch anschlussfähig ist an einen komplexen Bildungsbegriff“ (S. 106), sei z.B. der Nutzen der Lerntheorien in Zweifel zu ziehen. Dazu fallen dann Stichwörter wie erziehungswissenschaftliche Fastfood-Industrie, subjektlose Lerntheorien (da an Ratten und Tauben gewonnen), Individualisierungsdoktrin, therapeutische Begriffslawine oder Sozialtechnologie der emotionalen Literalität (Anm.: Dieser Begriff bezeichnet fachlich die Lese- und Schreibfähigkeit und ist hier wohl als Metapher gemeint).

Weiterhin werden – nochmals – Pathologisierung und Therapeutisierung schulischer Schwierigkeiten, die „Therapiementalität der Pädagogik“ beklagt, und zum wiederholten Mal der Boom lernpsychologischer Ansätze als Verkürzung und Beschneidung des pädagogischen Denkens. Teilleistungsstörungen, aber ausführlich ADHS werden als Beispiel für die Medizinierung und Psychiatrisierung und damit für die Entpädagogisierung schulischer Probleme aufgeführt, was sich nun auch auf den Bereich der Eingliederungshilfen als Jugendhilfemaßnahmen erstreckt. Andererseits profitiere die Pädagogik von solcherlei Tendenzen wegen derer Entlastungsfunktion.

Auf den folgenden drei Textseiten geht es um Professionalisierung, genauer um eine „Déformation professionelle“. Interventionsmentalität und biologistische Orientierung führten zur professionellen Deformation durch das Aufgeben pädagogischer Positionen.

Im Kapitel 7 zur „Standardisierung von Schule, Unterricht und sonderpädagogischer Förderung“ geht es um die aktuellen, bildungspolitisch gewollten Evaluierungstendenzen, z.B. in Form von PISA und TIMMS. Insbesondere die in den USA etablierte Praxis der kontinuierlichen Schulleistungstestüberpüfungen (“no child left untested”) werden hart kritisiert als „Wundermittel der politischen Bildungsplanung“, welche dem Humboldt’schen Zweckfreiheitspostulat von Bildung diametral entgegen stünde. Solche Standardisierungstendenzen fänden sich auch ungebrochen in der Sonderpädagogik. Die schulische Erziehungshilfe stünde in der widersprüchlichen Spannung zwischen Individualisierung und Standardisierung. Der Autor warnt hier ausdrücklich vor der Standardisierung sonderpädagogischer Förderung, denn Normierung und Heterogenität stünden in einem unauflösbaren Widerspruch. Die Erziehungswissenschaft befinde sich in der Technologisierungsfalle zwischen „Entmystifizierung“ und Evaluation.

Im 8. Kapitel wird im Titel die Reformu­lierung einer pädagogischen Position – gewissermaßen als Lösung der angeschnittenen Probleme – versucht, und es finden sich Argumentationsschwerpunkte, die zuvor bereits angeklungen sind: „Überfremdung und Überwucherung der Pädagogik“, Versagen der Päd­agogik, pädagogisches Vakuum, letztlich inhaltsleere und gegenstandslose empirische Forschung, strukturbedingte, nicht auflösbare Paradoxien etc. Allerdings, so räumt der Autor ein, habe die Pädagogik kein eigenes Begriffssystem hervorgebracht. Erziehung und Bildung gehörten zu den traditionellen Leitbegriffen, die für den Mainstream der Pädagogik allerdings uninteressant geworden seien. In der Sonderpädagogik gehört der Terminus Behinderung zu den Grundbegriffen, ohne dass eine ausgearbeitete bildungstheoretische Fundierung stattgefunden hätte. Hier findet sich auch die kritische Hinweis, dass Behinderung als Begrifflichkeit wie eine Eigenschaft der Person erscheint (S. 142). Andererseits könne man das Faktum der Behinderung auch nicht einfach wegdefinieren. Der Behinderungsbegriff sollte – so der Autor – durch den Bach’schen Oberbegriff „Beeinträchtigung“ erweitert werden. Dagegen würde die neue Begrifflichkeit des sonderpädagogischen Förderbedarfs durch Konturloskeit, Tautologie und Unpräzision nicht zum neuen Leitbegriff taugen. Letztlich sei auch nach Jahrzehnten kein gemeinsames Verständnis von Erziehung und Bildung „schwieriger“ Kinder gelungen. Dagegen sei die zentrale Begrifflichkeit der Verhaltensstörung programmatisch, deskriptiv und komunikationserleichternd, wenn auch unpräzise.

Im folgenden Abschnitt geht es um das therapeutische Dilemma der Pädagogik bei Verhaltensstörungen. Willmann greift wieder auf die Historie zurück und bemerkt zurecht, dass die ausgeprägte Therapieorientierung schon lange in der Kritik stand. Er zitiert Bach aus dem Jahr 1980, der damals die Inflation des Therapiebegriffs („Urschrei nach Therapie“) in der Sonderpädagogik scharf aufs Korn genommen hatte, von einer Flucht in die Therapie sprach und bezweifelte, ob die behende Öffnung der Sonderpädagogik für die Therapie nicht eher dem Einzug eines trojanischen Pferdes zu vergleichen, ob damit also eine Verbesserung des sonderpädagogischen Feldes zu erreichen sei. Überhaupt seien von der Umarmung keine positiven Impulse zu erwarten, so Bach. Ein Vierteljahrhundert später knüpft Willmann also an die Diskussionsstände aus 1980 an. Da drängt sich natürlich die Frage auf, ob Willmanns Buchausführungen in der Lage sein werden, die Dinge in eine Richtung zu lenken, die der Autor für die einzig richtige hält. Anscheinend ist die Diskussion seither nicht recht vorangekommen, wenn es auch heute noch darum ginge, „Problemwahrnehmungen aller Beteiligten aufzubrechen, um pädagogische Lösungsperspektiven zu entwickeln“ (S. 151), und zwar auf reflexiver Basis, als „reflektiver Sonderpädagogik“.

Im abschließenden 9. Kapitel wendet sich der Autor schließlich dem Inklusionsthema zu, indem er zentrale Probleme anschneidet und Fragen zum Gleichheitspostulat, zur Dekategorisierung, zur De-Institutionalisierung, zur ideologischen Überhöhung, zu Rahmenbedingungen und zu gesetzlichen Vorgaben stellt und schließlich die weiterhin lebendige Inklusionsrhetorik kritisiert. Die hier vorgetragenenen gebündelten Argumentationen zu den momentanen Tendenzen in der deutschen Bildungslandschaft sind zwar nicht neu, aber gut nachvollziehbar, wenn auch der Zusammenhang mit dem Zentralthema des Buches, der De-Psychologisierung des Faches, aus dem Blickwinkel gerät.

* * *

Was also kann die Leserschaft nach der Buchlektüre an Erkenntnissen erwarten? Wird hier ein Beitrag geleistet, die grundlegenden theoretischen und begrifflichen Schwierigkeiten des Faches zu überwinden und eine Klärung des Gegenstandsbereiches herbeizuführen? Die Leserschaft des Buches wird wohl eigene Antworten zu finden haben, sollte aber den Text mit kritischen Detailfragen wie diesen verfolgen:

Kann die Rückwendung zu den Bildungsbegriffen des 20. Jahrhunderts zum Fortschritt führen? Gab es nicht gute fachliche Gründe – angesichts der Subjektivität des Bildungsbegriffs und seiner Auslegung – für eine Hinwendung zur Brezinka’schen empirischen Erziehungswissenschaft?

Der methodische Weg, Verhaltensstörungen subjektiv zu sehen und zu verstehen, ist so eingängig wie verbreitet. Wer jedoch kontrolliert (im Sinne von Reliabilität und Validität) das korrekte Sehen und Verstehen von Verhaltensstörungen, um Falschdeutungen, Irrwege und Missverständnisse zu vermeiden?

Kann man überhaupt angesichts der Fülle psychologischer Schulen und Theorien von der Psychologie sprechen? Spiegelt die Verengung der Psychologie auf Lerntheorie und Verhaltensmodifikation nicht den Erkenntnisstand des vergangenen Jahrhunderts wider? Warum werden zeitgemäße Ansätze wie FBA und BIP (functional behavior analysis, behavior intervention plan) nicht ­reflektiert, bei denen nicht mehr Verhaltenssymptome, sondern die Funktionen des Verhaltens fokussiert werden? Könnte unter die De-Psychologisierung nicht auch eine De-Psychoanalysierung fallen, da die Psychoanalyse doch auch zu den psychologischen Theorien zu zählen ist?

Wenn im Text die ‚Medico-Pädagogik‘ einer fundamentalen Kritik unterzogen wird, warum verwendet der Autor dann deren Begrifflichkeiten wie ‚Komorbidität‘ (S. 92)?

Wenn negative Konnotationen und Unübersichtlichkeit der verwendeten Fachbegriffe beklagt werden, warum ringt sich der Autor dann nicht zu einer eigenständigen Terminologie durch, warum bevorzugt er eine Anführungszeichen-Begrifflichkeit? Stellt „schwierig“ zur Kennzeichnung der Population dann die Bestlösung dar? Wenn die adjektivische Zuordnung „schwierig“ auf eine Kinderpopulation angewandt wird, die Verhaltensstörungen aufweisen oder auch nicht aufweisen kann, werden so Konturlosigkeit und Inhaltsleere vermieden? Gibt es überhaupt empirische Belege für den Faktor „schwierig“?

Warum wird im gesamten Text und im Buchtitel die adjektivische Zuordnung zu Kindern als „schwierig“ verwendet, nachdem auf Textseite 142 die Zuweisung von Eigenschaften zu Personen zurückgewiesen worden ist? Warum schließt man sich nicht der People-First-Bewegung an, dergemäß sprachlich (und auch psychologisch) die Person an erster Stelle steht und erst danach ein Merkmal wie „schwierig“ – also: Kinder mit Schwierigkeiten – zugeordnet wird?

Zur De-Psychologisierung des Faches: Die Erfahrung des Rezensenten zeigt, dass in der fachpädagogischen Praxis die Anwendung psychologischer Konzepte wie der Verhaltensmodifikation verbreitet ist, jedoch unprofessionell und fehlerhaft umgesetzt wird; so sind Schülerverträge z.B. falsch aufgesetzt, Bestrafungen wie Time-Out werden falsch umgesetzt, Tokensysteme weisen Fehler auf etc. etc. Wäre deshalb nicht ein Weniger, sondern ein Mehr an Psychologie notwendig, um der Not der Erziehungshilfepraxis entscheidend entgegen zu wirken? Ließe sich deshalb nicht auch die gegenteilige These vertreten, dass das Fach ein Mehr an Psychologie benötigt?

Herbert Goetze, Indiana University Northwest


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aktualisiert am
11.03.2015