Heilpädagogische Forschung

Rezensionen Heft 2 Jahrgang 2012

Weis, Anika (2011). Möglichkeiten der Leseförderung an der Schule für Lernhilfe – Eine empirische Untersuchung, VDM Verlag, 115 Seiten, € 59,00

Hier liegt ein umfassendes Buch zur Leseförderung vor, welches ein breites Spektrum an praktischen Bezügen herstellt, die sowohl theoretisch fundiert als auch empirisch belegt sind

Der Begriff der Leseförderung ist spätestens mit dem Erscheinen von internationalen Bildungsstudien in aller Munde, was zu einer neuen Akzentuierung im schulischen Kontext führte. Leseförderung begrenzt sich nicht mehr nur auf die Primarstufe als Förderung der Lesefähigkeit, sondern ist in allen Schulformen im Sinne einer Motivationsförderung notwendig. Schließlich wird die Teilhabe an der Lesekultur als grundlegende Voraussetzung für den schulischen Erfolg angesehen.

Die Autorin Anika Weis beleuchtet in ihrer empirischen Arbeit das durch die Leseforschung stark vernachlässigte Feld der Förderschule für Lernhilfe. Die Ergebnisse sind jedoch auf alle Schulen anwendbar und die theoretischen Überlegungen nahtlos auf alle Schulformen übertragbar. Die zentrale Frage lautet: Welche sozialisatorischen Einflüsse wirken auf die Schüler, und wie können Schulen und Lehrkräfte agieren, um die Lesemotivation der Schüler trotz bildungsferner Lebensumstände nachhaltig zu fördern und sie so zu kompetenteren Lesern zu befähigen?

Zunächst werden theoretische Vorüberlegungen zur Lesekompetenz angestellt, die durch lesesozialisatorische und lesemotivatorische Variablen beeinflusst wird. Hier wird insbesondere auch differenziert auf den speziellen Einfluss der peer group eingegangen, die bisher in der Leseforschung zu wenig Berücksichtigung findet. Daran anschließend werden exemplarisch Möglichkeiten für lese(motivations)fördernde Maßnahmen und Methoden vorgestellt. Hervorzuheben ist hier insbesondere der Fokus auf die Lehrerpersönlichkeit und deren impliziter Vermittlung eines Leseklimas, was die Rezensentin zuvor so detailliert, theoretisch fundiert, aber auf den Punkt gebracht, an keiner anderen Stelle lesen konnte.

Im nächsten Kapitel wird die empirische Befragung präsentiert, die den Iststand der Leseförderung (quantitativ und qualitativ) an hessischen Schulen für Lernhilfe abbildet. Die Autorin macht so auf mögliche Lücken in der Leseförderung aufmerksam und leitet konkrete Maßnahmen ab, die diese Lücken schließen können. Gerade die Beschreibung der praktischen Umsetzung von bewusster und unbewusster Leseförderung im Unterricht wird Sonderpädagogen aber auch Lehrern und Erziehern anderer Bereiche gute Dienste erweisen.

Im abschließenden Kapitel werden die Ergebnisse noch einmal zusammengefasst und daraus Schlüsse und Konsequenzen gezogen. So leitet die Autorin beispielsweise Eigenschaften eines Risikolehrers im Bereich der Leseförderung ab, betrachtet ihre eigene Forschung aber auch kritisch und spricht die Notwendigkeit weiterer Untersuchungen in diesem Bereich an.

Das Werk von Anika Weis stellt einen nützlichen Beitrag zur Erforschung der Lesemotivation und deren notwendiger Bedingungen dar. Mit viel Engagement hat die Autorin versucht, den blinden Fleck der Leseforschung an Förderschulen zu erhellen, und stellt mit viel Sorgfalt und Ausgewogenheit ihre Ergebnisse dar. Das Buch ist wissenschaftlich fundiert, hat eine große Fülle an relevanter Fachliteratur verarbeitet und ist interessant zu lesen, da es viele wertvolle Impulse für die Praxis vermittelt. Die Lektüre ist allen Wissenschaftlern und Praktikern, die sich mit dem Feld der Leseförderung beschäftigen, zu empfehlen.

Die Grenzen des Buches liegen strukturbedingt in der unüberschaubaren Menge von Möglichkeiten zur Leseförderung, dennoch hat die Autorin mit dem vorliegenden Werk eine geeignete Auswahl getroffen, die sich aus der Forschung heraus begründet und gleichwohl nachzuvollziehen und anzuwenden erlaubt.

Uta Weigel, Buseck



Heimlich, U. & Wember, F. (Hrsg.) (2007). Didaktik des Unterrichts im Förderschwerpunkt Lernen. Stuttgart: Kohlhammer Verlag. 429 Seiten. € 28,00

Das Herausgeberwerk von Heimlich und Wember fasst Artikel von über 30 Autoren zum Thema Didaktik im Förderschwerpunkt Lernen zusammen und gliedert sie strukturiert in fünf Kapitel. Nach den ersten beiden Themen „Grundfragen und Modelle der Didaktik“ und „Unterrichtskonzeptionen“ befasst sich das dritte Kapitel mit der „Didaktik ausgewählter Lernbereiche“. Im vierten Teil steht die „Unterrichtsplanung und Unterrichtsanalyse“ im Mittelpunkt, während sich das fünfte Kapitel kompakt mit der Thematik des „Erwerbs von Unterrichtskompetenz“ beschäftigt.

Ein einheitlicher Kapitelaufbau, Querverweise innerhalb der Artikel sowie ein Stichwortverzeichnis erhöhen die Lesbarkeit des umfangreichen Werkes. Jedem Artikel ist eine kurze Zusammenfassung vorangestellt, die jedoch nicht immer den nötigen thematischen Überblick zu verschaffen vermag. Positiv hervorzuheben ist die Rubrik „Literatur zum Lesen und Lernen“, die sich an jeden Artikel anschließt und detailliert die weiterführenden Literaturhinweise beschreibt und thematisch skizziert.

Im ersten Bereich führen fünf Artikel sehr theoretisch und ganz allgemein in den Bereich „Grundfragen und Modelle der Didaktik“ ein. Der erste Artikel zum Thema „Geschichte der Didaktik im Förderschwerpunkt ‚Lernen‘?“ lässt zwar keine aktuelle Relevanz vermuten, aber Klein schafft es dennoch, wie viele Autoren des vorliegenden Bandes, die ebenfalls auf historische Entwicklungen eingehen, einen aktuellen Bezug zur heutigen Zeit herzustellen. Der letzte Artikel aus diesem Bereich beschäftigt sich konkreter mit den didaktischen Prinzipien im Förderunterricht und stellt somit eine gelungene Überleitung zu den sich anschließenden Unterrichtskonzeptionen dar. Zu kritisieren ist hier lediglich die Einbeziehung von fast ausschließlich sehr veralteten Forschungsergebnissen zur Begründung von Unterrichtsqualität, deren heutige Gültigkeit jedoch nicht zwangsläufig bezweifelt werden muss. Wember gibt hier wichtige Impulse und Anregungen für den Umgang mit Schülern des Förderschwerpunktes Lernen.

Das 4. umfänglichere Kapitel zum systemischen Ansatz kann zu Beginn nicht mit der Vorstellung einer Gründerpersönlichkeit aufwarten, denn die unterschiedlichsten Autoren haben hier Einfluss genommen. Entsprechend kurz ist dann auch die Charakterisierung des systemischen Menschenbildes ausgefallen. Welche unterschiedlichen theoretischen Strömungen in den systemischen Ansatz Eingang gefunden haben, wird am darauf folgenden Kapitel zur Theorie und zur Störungslehre deutlich: allgemeine Systemtheorie, Kommunikationstheorie von Paul Watzlawick, Konstruktivismus, Modelle von Schulz von Thun, Richter, Stierlin, Willi. Die Ausführungen zur Therapie/ Beratung zeigen die unterschiedlichsten therapeutischen Techniken und Interventionen auf, gefolgt von den Aspekten Allparteilichkeit, Widerstand, Diagnostik, Genogramm und Therapieende. Ein gesondertes Unterkapitel befasst sich mit der sog. Lösungsorientierten Beratung. Der Unterschied zu den drei anderen Therapiesäulen wird mit Begriffen und Techniken wie Kollusion, zirkuläres bzw. triadisches Fragen, Genogramm, paradoxe Verschreibungen, Allparteilichkeit, oder Joining deutlich, es handelt sich um Begrifflichkeiten, die in anderen Konzepten nicht auftauchen.

Im zweiten Kapitel stellen sechs Artikel verschiedene Unterrichtskonzeptionen vor. Dabei werden meist ganz allgemein und übergreifend die historische Entwicklung, theoretische Grundlagen, Prinzipien, Ziele und Strategien der Konzeptionen vorgestellt, die sich jedoch dann zum Förderschwerpunkt Lernen hin konkretisieren. Hier werden sowohl Konsequenzen, Einschränkungen und Probleme bei der Umsetzung thematisiert, als auch auf die spezifischen Chancen und positiven Wirkungen für Schüler mit dem Förderschwerpunkt Lernen eingegangen. Wenn möglich, werden belegende empirische Daten angeführt. Die Bewertungen der Autoren sind sehr hilfreich, denn in Werken zu den einzelnen Konzeptionen wird kaum erklärt, was am Ablauf geändert werden sollte oder was zusätzlich nötig ist, um das Konzept für den Förderschwerpunkt Lernen zu adaptieren und eine gewinnbringende Umsetzung in der Unterrichtspraxis zu erzielen. Die Konsequenzen für die pädagogische Arbeit an den Schulen und die sich abzeichnenden Perspektiven werden objektiv und unabhängig diskutiert. Auch der Kosten-Nutzen-Faktor im Sinne der Effektivität wird nicht vernachlässigt. Einige Konzeptionen stellen eine Herausforderung für die Lehrkräfte im Förderschwerpunkt Lernen dar, weil teils umfassende Unterstützungsmaßnahmen und Hilfestellungen nötig sind, sodass der sinnvolle Einsatz einiger Entwürfe relativiert wird und auf bestimmte Lernbereiche und Unterrichtsinhalte begrenzt wird.

Der Beratungskontext mit Kindern wird kaum berücksichtigt ist. Lediglich mit wenigen Zeilen wird auf psychoanalytische, personzentrierte, verhaltenstherapeutische Kindertherapien hingewiesen, obwohl viele Beratungsanlässe aus einem Erziehungskontext heraus entstehen. Als klientenzentrierte Therapie hätte die Filialtherapie vielleicht einer Erwähnung bedurft, weil sie eine spezifische klientenzentrierte Intervention mit ratsuchenden Eltern darstellt.

Der dritte Bereich des Buches widmet sich der differenzierten Darstellung der Didaktik verschiedener Lernbereiche. Die bereichsspezifische Gliederung differenziert hier zwischen Sprache, Mathematik sowie Alltag und Beruf. In den fünf Artikeln zum Thema Sprache wird zunächst in den spezifischen Lernbereich theoretisch eingeführt und dann, so sollte man meinen, Besonderheiten des Lernbereiches für den spezifischen Förderschwerpunkt Lernen herausgearbeitet. Leider gelingt dies nur Sommer-Stumpenhorst sowie und Grohnfeldt und Schönauer-Schneider, die in ihren Artikeln sehr konkrete Anleitungen für die Unterrichtspraxis vermitteln. In den anderen Artikeln wird eher eine Auffrischung der Theorie des Lernbereiches allgemein angestrebt, der sich für alle Schulformen anbieten würde. Die Autoren bleiben in ihren Ausführungen eher unspezifisch, hier ist der Lehrer selbst gefragt, die nicht neuen Hinweise, wie beispielsweise die analytisch-synthetische Leselernmethode zu verwenden, in konkrete Umsetzungen für den Unterricht umzuwandeln. Leider werden die spezifischen Bedürfnisse von Schülern mit dem Förderschwerpunkt Lernen dafür zu vage und unzureichend skizziert.

Für den Lernbereich Mathematik zeichnet sich ein etwas erfreulicheres Bild ab, hier werden die einzelnen theoretischen Kompetenzbeschreibungen der Artikel, die vor allen den Praktikern ausreichend bekannt sein sollten, auch durch Hinweise für die konkrete Unterrichtspraxis im Förderschwerpunkt Lernen ergänzt.

In den beiden letzten Kapiteln finden sich unter anderem Beiträge über die kollegiale Praxisberatung und Unterrichtsplanung sowie zwei Artikel zum Erwerb von Unterrichtskompetenz in der sonderpädagogischen Lehrerausbildung, die vor allen Lehramtsanwärterinnen und -anwärtern in der zweiten Ausbildungsphase nützlich sein können.

Insgesamt besticht das Werk durch seine vielfältigen Einsatzmöglichkeiten. Sowohl Theoretiker als auch Praktiker fühlen sich gleichermaßen angesprochen, denn dem hohen Niveau wird der Anspruch an Verständlichkeit und Prägnanz nicht untergeordnet. Neben den fundierten Darstellungen über die einzelnen eher theoretischen Fragestellungen zur Didaktik des Unterrichts weist das Buch auch einige konkrete Hinweise für die Umsetzung von Unterrichtsvorgehensweisen im Bereich Sprache und Mathematik auf, beinhaltet konkrete Leitfäden und ausgewählten Materialien zur Unterrichtsplanung sowie zur kollegialen Praxisberatung. Das Werk richtet sich einerseits an Studierende und Berufseinsteiger, dient aber andererseits auch allen fachlich interessierten Kolleginnen und Kollegen der beruflichen Praxis als umfassendes Nachschlagewerk. Diese sollten jedoch beachten, dass sie hier wenig neue Impulse zu erwarten haben, denn jeder, der im Förderschwerpunkt Lernen täglich tätig ist, sollte über die Informationen des Bandes verfügen und es demnach eher als Zusammenschau wichtiger, aber bereits bekannter Richtlinien für den Unterricht betrachten.

Dennoch ist über 20 Jahre nach dem Erscheinen des Handbuches der Lernbehindertendidaktik von Baier und Bleidick hier ein wissenschaftlich fundiertes und zugleich praxisorientiertes Handbuch entstanden, das die didaktischen Grundfragen der Lernbehindertendidaktik neu stellt und zusammenfassend bündelt. Nicht nur aufgrund des großen inhaltlichen Umfangs stellt das Buch „Didaktik des Unterrichts im Förderschwerpunkt Lernen“ demnach für alle Lehrkräfte, die in diesem Bereich arbeiten, eine lohnenswerte Anschaffung dar. Besonders erfrischend waren die doch häufig kritisch-realistischen Stimmen in den Schlussbemerkungen und Fazits der Autoren, die wichtige Erkenntnisse für die Praxis ermöglichen und manche Idealvorstellungen des Unterrichts relativieren.

Uta Weigel, Buseck


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aktualisiert
am 07.04.2013