Heilpädagogische Forschung

Rezension Heft 3 Jahrgang 2007

Heinen, Norbert, Laubenstein, Desiree & Lamers, Wolfgang (Hrsg.) (2006). Basale Stimulation – kritisch-konstruktiv. Bundesverband f. Körper- u. Mehrfachbehinderte – verlag selbstbestimmtes leben: Düsseldorf, 303 Seiten, 17,40 €.

Das Förderkonzept der Basalen Stimulation nach Andreas Fröhlich hat wie kaum ein anderer Ansatz die Entwicklung spezifischer heil- und sonderpädagogischer Angebote für Menschen mit schweren Behinderungen geprägt. Entstanden in den 1970er Jahren im Rahmen eines regionalen Schulversuchs leistete es über diesen hinausgehend in der Folgezeit zum einen einen wichtigen Beitrag zur schulpolitischen Akzeptanz der Bildungsfähigkeit einer Personengruppe, die zu diesem Zeitpunkt zu einem großen Prozentsatz von jeglicher schulischer Bildung ausgeschlossen war. Zum anderen entwickelte es sich zu einer zentralen Grundlage der neu entstandenen Schwerbehindertenpädagogik. Berücksichtigung erhielt es dabei gleichermaßen in der Wissenschaft als auch in unterschiedlichsten Praxisfeldern.
In den folgenden Jahrzehnten beschäftigte das Konzept der Basalen Stimulation die fachspezifische wissenschaftliche Diskussion immer wieder aufs Neue. Anlässe dafür bildeten sowohl die stetigen Weiterentwicklungen des Ursprungskonzeptes durch Fröhlich als auch die sehr unterschiedlichen Reaktionen auf diesen Ansatz aus der Fachwelt. So erfuhr die Basale Stimulation auf der einen Seite besonders in ihrer ursprünglichen Fassung, u.a. aufgrund ihrer funktionalen Orientierung, vereinzelt Kritik durch Vertreter der Heil- und Sonderpädagogik während auf der anderen Seite zahlreiche Fachvertreter auch aus angrenzenden Disziplinen und Praxisfeldern das Konzept zunehmend, vielfach nahezu euphorisch in die jeweiligen Arbeitsbereiche transferierten.

Im Vordergrund des vorliegenden Herausgeberbandes steht eine auf diesen Entwicklungen basierende Darstellung und Würdigung des Förderkonzeptes der Basalen Stimulation in seiner gegenwärtigen Präsenz und fachlichen Relevanz. Die von den Autoren gewählte „kritisch-konstruktive” Betrachtung weist in diesem Kontext auf die Zielsetzung hin, der Komplexität der Auseinandersetzung mit dem von Fröhlich entwickelten Ansatz anhand der Präsentation von 15 Fachbeiträgen aus unterschiedlichen Arbeitsbereichen angemessen Rechnung zu tragen. Geprägt durch diese Perspektivenvielfalt wird dem Leser in einer sehr übersichtlichen und ansprechenden Form ermöglicht, die Basale Stimulation in ihrer Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte, in ihrer Fundierung und Integration in Theorien und Konzepte der (Schwerbehinderten-)Pädagogik sowie ihrer Übertragung auf praktische Arbeitsfelder in den Bereichen der Erziehung, des Unterrichts, der Pflege und der Therapie differenziert kennen zu lernen.

Die Zusammenstellung der Fachbeiträge beinhaltet neben Aufsätzen der Herausgeber Desirée Laubenstein, Wolfgang Lamers und Norbert Heinen, dreier renommierter Vertreter aus dem Bereich der Geistigbehindertenpädagogik und langjähriger „Wegbegleiter” von Andreas Fröhlich, eine vielseitige Auswahl thematischer Beiträge angesehener Experten aus den Disziplinen der Heil- und Sonderpädagogik, Medizin und Pflegewissenschaften.
Ein inhaltlicher Einstieg in die Thematik der Basalen Stimulation wird im ersten Fachbeitrag von Bürli präsentiert, der anhand einer Darstellung ihrer Entstehungsgeschichte eine historische Einordnung des Förderkonzeptes in den gesellschaftlichen und bildungspolitischen Kontext der 1970er Jahre vornimmt. Anknüpfend an diesen zeitgeschichtlichen Rahmen betrachtet Ackermann die Relevanz des Ansatzes von Fröhlich im Zusammenhang der Entwicklung einer ersten „Pädagogik bei schwerster Behinderung”.

Ein wesentlicher Schwerpunkt der folgenden Aufsätze und somit des gesamten Buchs findet sich in der aus unterschiedlichen Perspektiven durchgeführten, differenzierten Betrachtung von Anregungen, Konkretisierungen und Übertragungsmöglichkeiten wieder, die sich aus dem Konzept der Basalen Stimulation für unterschiedliche Erziehungs-, Förder- und Lebenssituationen in der Begleitung von Menschen mit schweren Behinderungen ableiten lassen. Einen besonderen Stellenwert erhält bei der Mehrzahl dieser Artikel der Gedanke der Praxisrelevanz.
Ein Transfer der Gedanken und Inhalte der Basalen Stimulation auf die Bereiche der Erziehung, (sonder-)pädagogischen Förderung und Therapie wird besonders in den Beiträgen von Behrens & Fischer (Bewegungsförderung), Braun (Unterstützte Kommunikation), Lamers & Heinen (Unterrichtspraxis), Sarimski (Wahr- nehmungs- und Kommunikationsförderung), Klauß (Ernährung und Bildung), Laubenstein (Sexualerziehung) und Theunissen (Ästhetische Erziehung) thematisiert. Die Herkunft des Förderkonzeptes aus dem sonderpädagogischen Kontext aufgreifend werden an dieser Stelle zahlreiche interessante Verknüpfungsmöglichkeiten der Basalen Stimulation mit weiteren primär pädagogischen bzw. therapeutischen Ansätzen und Methoden diskutiert.

Den Themenbereichen der Medizin und Pflegewissenschaften zuordnen lassen sich die Artikel von Bienstein (Pflege), Kribs & Rosenberger (Kinderkrankenpflege) und Zieger (Beziehungsmedizinische Sicht), in denen wiederholt die mit der Übertragung der pädagogischen Anteile des Konzeptes der Basalen Stimulation auf den medizinisch-pflegerischen Bereich verbundenen Chancen reflektiert werden. Der Annäherung von Medizin und Pädagogik im Rahmen einer interdisziplinären Begleitung und Förderung von Menschen mit einer schweren Behinderung wird diesbezüglich eine hohe Bedeutung zugesprochen.

Drei weitere Autoren setzen sich schließlich mit den Möglichkeiten der Einbeziehung der Grundgedanken der Basalen Stimulation in die Betrachtung der Lebensgestaltung von Menschen mit einer schweren Behinderung auf einer verstärkt abstrakt-reflektiven Ebene auseinander. Während Dörr, die historische Entwicklung der Basalen Stimulation einbeziehend, den Blick auf mögliche Konsequenzen des Ansatzes für die Teilhabe im gesellschaftlichen Kontext wirft, diskutiert Wagner den Wandel der Sicht des Menschen mit einer Behinderung vom „passiven Objekt einer Stimulation zum aktiv gestaltenden Subjekt” im Rahmen der dreißigjährigen Entwicklung des Konzeptes von Fröhlich. Auch Fischer greift in seiner Thematisierung des Spannungsfeldes von „Wahr nehmen” und „Stimulation” aus einer konstruktivistischen Perspektive mögliche Kritikpunkte an der Basalen Stimulation auf, mit dem Fazit, dem Konzept der Basalen Stimulation in der gegenwärtigen Heilpädagogik eine weiterhin hohe Bedeutsamkeit zu bescheinigen.

Die Vielfältigkeit der von den Herausgebern zusammengestellten 15 Fachbeiträge zur Basalen Stimulation bildet eine besondere Stärke dieses Buches. Die Verknüpfung von Praxisbeiträgen und theoriegeleiteten Grundlagenartikeln kann beim Leser sowohl den Wunsch nach einer vertieften Theoriereflexion als auch das Bedürfnis nach einer unmittelbaren Arbeits- und Alltagsnähe bedienen. Durch die abwechslungsreichen Themenschwerpunkte weist der Herausgeberband zudem eine sehr gute Lesbarkeit auf. Zusammenfassend lässt sich das Buch „Basale Stimulation – kritisch-konstruktiv" als eine gelungene und bereichernde Ergänzung zu den Originalschriften von Andreas Fröhlich beschreiben.

Dr. Andreas Eckert, Köln

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aktualisiert am 14.07.2008