Prange, K. & Strobel-Eisele, G. (2006). Die Formen des pädagogischen Handelns. Eine Einführung. Stuttgart: Kohlhammer, Urban Taschenbücher. 225 Seiten, flexibel gebunden. 18,00 €.
Das Buch gehört zu der im Kohlhammer-Verlag herausgegebenen Reihe „Grundriss der Pädagogik/Erziehungswissenschaft” und bietet – so der Klappentext – eine systematische Einführung, „in welchen Formen, auf welchen Wegen und mit welchen Methoden sich die Aufgaben und Zwecke der Erziehung verwirklichen lassen”.
Einleitend wird der Begriff des pädagogischen Handelns entwickelt. Dieser Begriff hat nach Meinung der beiden Autoren (Klaus Prange lehrte Allgemeine Pädagogik an der Universität Tübingen und Gabriele Strobel-Eisele ist Professorin für Schulpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg) zunehmend die Stelle eingenommen, die traditionell mit dem Ausdruck „Erziehung” besetzt war (S. 12). Er wird zur Bezeichnung jedweder Form der erzieherischen Tätigkeit verwendet. Der Autor und die Autorin arbeiten heraus, Handeln werde dadurch pädagogisch resp. erzieherisch, dass es sich auf Lernen bezieht und das Lernen zu bestimmen sucht. Diese interessante Fassung des Begriffs versucht, beide Seiten, Lernen und Erziehen, zusammenzubringen. Das pädagogische Handeln sucht das Lernen zu bestimmen, will stützend und fördernd, begrenzend und fordernd ‚einwirken‘. In diesem Zusammenhang wird von einer pädagogischen Differenz gesprochen und der Leser aufgefordert, sich der Tragweite und der Möglichkeiten der Bewältigung dieser pädagogischen Differenz bewusst zu werden. Ein solches Bewusstsein ist für Sonderpädagogen von hoher Relevanz. Veranschaulicht wird Ansatz dann auch am Fallbeispiel Helen Kellers und ihrer Lehrerin Anne Sullivan, also an einem Fallbeispiel, in dem eine lange, viel- schichtig-subtile und methodologisch lehrreiche Koordination der zwei Seiten, nämlich der des Erziehens und der des Lernens, geschah. In diesem Fall war dazu das Medium der Tastfähigkeit vorhanden bzw. verblieben, in dem die Kommunikation erfolgen und thematisch gestaltet werden konnte.
Weitere Bestimmungsstücke des pädagogischen Handelns bestehen im Anbieten von Themen bzw. Inhalten, so dass solche Lernprozesse vorangebracht werden können, die den pädagogischen Zielen entsprechen. Als Grundform pädagogischen Handelns wird das Zeigen abgeleitet und hinsichtlich der Übung, der Darstellung, der Aufforderung und der Rückmeldung differenziert. Komplexe Formen des pädagogischen Handelns sind Arrangement, Spiel, Arbeit, Erlebnis und Strafe. Weitere Kapitel gehen auf das methodisch organisierte pädagogische Handeln in Form der Schulerziehung, der Anstaltserziehung u.a.m. ein. Der inhaltliche Bogen erstreckt sich bis hin zu den Großformen der Erziehung (Volks- und Massenerziehung u.a.).
Der gewählte Zutritt zur Problematik ist zwar sehr allgemein, vermeidet aber abstraktes Theoretisieren und bevorzugt anregende Denkanstöße, sei es aus der geisteswissenschaftlichen Tradition oder aus Reflexionen zu aktuellen gesell- schaftlichen Herausforderungen an pädagogisches Handeln.
Gerald Matthes, Potsdam
Kastirke, N. (2005). Schulprogramm an Sonderschulen – ‚Angeordnete Innovation‘ als unauflösbarer Widerspruch in der Schulentwicklung? Oldenburg: Didaktisches Zentrum. 189 Seiten, flexibel gebunden. 9,00 €.
Der Broschüre liegt die Dissertationsschrift der Autorin zugrunde. 1997 wurden die Schulen in NRW, wo Frau Kastirke ihre Untersuchung durchführt, durch einen Runderlass zur Schulprogrammentwicklung (1997) aufgefordert. Wie das auch in anderen Bundesländern der Fall war, sollten die Schulen Programme erarbeiten, mit denen sie ihr pädagogisches Profil entwickeln und die eine Basis für die Gestaltung des Unterrichts und des Schullebens abgeben sollte. Die Fragestellungen der Untersuchung lauten: Ist eine „angeordnete Innovation” ein unauflösbarer Widerspruch in der Schulentwicklung? Gibt es förderliche Merkmale und unterstützende Kriterien für eine gelingende Schulprogrammentwicklung in der Einzelschule, die auch unter den Bedingungen angeordneter Innovationen möglich sind?
Die literaturgestützte und theoretische Erörterung der Begriffe der Schulentwicklung, des Schulprogramms und der Schulprogrammentwicklung stehen im Mittelpunkt des zweiten Kapitels. Diskutiert werden die wenigen aktuellen Studien zur Schulprogrammentwicklung in Sonderschulen. Die Autorin stellt fest, dass eine Diskussion der Schulentwicklung von Sonderschulen allenfalls im Rahmen der Inklusions- und Integrationsforschung stattfindet. Direkt und indirekt lenkt sie den Blick auf die Spannungssituation, die darin besteht, dass die Sonderschule die bestmögliche Förderung für ihre Schüler leisten möchte und sich gleichzeitig den Anforderungen der Bildungspolitik und der Integrations-/Inklusionsdebatte stellen muss. Zur Schul- entwicklungsdebatte an den Schulen gehört also die Auseinandersetzung mit dem Selbstverständnis als Schulform, dem eigenen Leitbild und den Möglichkeiten der Weiterentwicklung des Profils. Unter diesen Bedingungen wird die angeordnete Schulprogrammentwicklung als problematisch wahrgenommen. Die von der Autorin ausführlich referierten Problemfelder der Schulprogrammentwicklung (unter anderem Motivationslage der Betroffenen, psychologische Barrieren und „Widerstände im Kollegium”, Angst vor dem Verlust eingespielter Strukturen) treffen auf die Sonderschule in zugespitzter Weise zu, wenn diese als Schulform in Frage gestellt werden, wie es uns hinsichtlich der Förderschule LB begegnet.
Im darauf folgenden Kapitel werden die wissenschaftstheoretischen und methodologischen Grundlagen der Untersuchung dargelegt. Die Autorin entscheidet sich für ein qualitatives Herangehen und erläutert den Aktionsforschungsansatz in der Schulentwicklung. Im Sinne einer teilnehmenden Aktionsforschung begleitet sie als Schulberaterin zusammen mit einem Kollegen den Schulentwicklungsprozess einer Förderschule mit dem Förderschwerpunkt der geistigen Entwicklung über einen Zeitraum von knapp drei Jahren.
Im Kapitel vier berichtet sie über den Prozess der Schulprogrammentwicklung an dieser Schule, so wie er sich aufgrund der Teilnahme als Beraterin darstellte. Das Material entstammt insbesondere den 20 Steuergruppensitzungen und den drei Pädagogischen Tagen, die an der Schule im Verlauf der fast drei Jahre stattfanden. Deskription, Felderkundung, Interpretation und weitere Elemente vermitteln ein anschauliches und differenziertes, zeitlich und inhaltlich strukturiertes Bild. Fragen nach Sinn und Zweck eines Schulprogramms, das Spannungsverhältnis zwischen Veränderungswillen und Festhaltenwollen an der gewohnten Situation, die Rolle der Steuergruppen gehören zu den beschriebenen Aspekten. Geplant und realisiert wurden über diese Fallstudie hinausgehend „Experten- und Expertinneninterviews” und Befragungen an einer größeren Zahl von Sonderschulen. Dieser Untersuchungsteil, der mittels Transkription, Paraphrasierung, Kodierung, thematischer Vergleiche usw. ausgewertet wurde, wird im zweiten Teil des empirischen Kapitels dar- gestellt. Die Entwicklungsprozesse der Einzelschulen werden auf mehreren Ebenen beleuchtet (Adressaten des Schulprogramms, inhaltliche Schwerpunkte, Beteiligung der Eltern und der Schüler, Fortbildung und Beratung, Rolle der Schulleitung). Die subjektive Rekonstruktion der Prozesse der Schulprogrammentwicklung führt zu einem Typisierungsansatz, der von den Dimensionen der Motivation hinsichtlich der Schulprogrammentwicklung (intrisisch, extrinsisch), der Kommunikations- und Leistungsstrukturen im Team (hierarchisch, Kooperationspotenzial u.a.), der Funktionszuschreibung des SP (Entlastung, Bestandsaufnahme, Pflichterfüllung u.a.) und der Art des Umgangs mit angeordneten Innovation (verdeckter Widerstand, gelassener Umgang, Überforderungserleben u.a.) getragen wird.
Im abschließenden Kapitel betrachtet die Autorin den eigenen Forschungs- und Beratungsprozess kritisch und leitet Schlussfolgerungen für die Aktionsforschung ab, die zu den wichtigen Resultaten der Arbeit gehören. Die Autorin warnt davor, die pflichtgemäße Ablieferung eines „Fassaden-Schulprogramms” zu fordern. Ein Fazit der Untersuchung besteht darin, „… dass angeordnete Innovationen sinnvolle Auslöser für Schulentwicklungsprozesse sein können, wenn den Schulen Wahlmöglichkeiten, angemessene Ressourcen und ein hoher Grad an Autonomie in der Ausgestaltung dieser Prozesse zugestanden werden” (S. 167).
Die Problematik der angeordneten Innovationen ist ein aktuelles Thema, neuerdings beispielsweise, wenn – worauf die Autorin hinweist – in NRW die Schuleingangsphase verändert und per Erlass angeordnet wird. Ein weiteres Beispiel ist die Einführung der förderdiagnostischen Lernbeobachtung als zweite Stufe des Feststellungsverfahrens, worauf die Schulen des Landes Brandenburg zu reagieren haben. Auch hier werden Wahlmöglichkeiten, Ressourcen und Autonomie darüber entscheiden, ob die Anforderungen in den Kollegien als Entwicklungsaufgabe aufgefasst werden oder (berechtigte) Vorbehalte dominieren müssen.
Gerald Matthes, Potsdam
Jacob, A. & Wahlen, K. (2006). Das multiaxiale Diagnosesystem Jugendhilfe (MAD-J) mit CD-ROM. München: Ernst Reinhard Verlag. 248 Seiten, flexibel gebunden. 29,90 €.
Die Autoren thematisieren aktuelle Schlüsselthemen der Kinder- und Jugendhilfe, einem Bereich, der sich momentan im Spannungsfeld zwischen forcierten Effizienzerwartungen und schwindender Finanzierbarkeit eines wachsenden Hilfebedarfs bewegt: An welchen fachlich begründeten Kriterien sind Entscheidungen über geeignete bzw. notwendige Hilfestellung ausgerichtet? Wann ist Hilfe zur Erziehung notwendig? Was macht die Hilfe zu einer geeigneten? Diagnose, Indikation und Evaluation/Adaptation der ursprünglichen Indikation und Hilfe werden als die drei zentralen Schritte im Prozess der Kinder- und Jugendhilfe gesehen. Auch das Buch selbst gliedert sich in drei große Teile.
Teil I widmet sich dem Thema „Elterliche Erziehung und ihre Bedingungen”: Vorliegende Konzepte elterlicher Erziehung kritisch dargestellt und diskutiert, und ein eigenes Vier-Komponenten-Modell elterlicher Erziehung skizziert. Bedingungen von Erziehung wie Beziehung, Familie, Personmerkmale der Eltern, Personmerkmale des Kindes und Risiken und Ressourcen der familialen Lebenslage werden beschrieben. Das Kapitel schließt mit Ausführungen zu den beiden zentralen Komponenten der Diagnose in der Jugendhilfe: Kindeswohl(-gefährdung) und Erziehung.
Teil II bezieht sich auf die Themenbereiche Klassifikation, Diagnostik, Indikation und Intervention: Beginnend mit den gängigen relevanten Klassifikationssystemen (ICD, DSM, Zero to Three, OPD und Klassifikation/Diagnostik in der Jugendhilfe) werden Verfahren zur Diagnostik von Erziehung, Erziehungsstilen und die Erziehung bedingenden Merkmalen (intrafamiliäre Kommunikation, Lebenslage, Stress, elterliche Personmerkmale, Person und Entwicklung des Kindes) dargestellt. Implikationen für eine klassifikatorisch-diagnostische Grundlegung der Hilfen zur Erziehung und Fragen der Indikation in der Jugendhilfe (selektive Indikation, interventive Indikation, adaptive Indikation) werden diskutiert.
Teil III bildet mit der Darstellung des MAD-J das Herzstück des Werkes: In einer systemtheoretisch und entwicklungspsychologisch verankerten Konzeption von elterlicher Erziehung wird die Grundlage der genuin jugendhilfespezifischen Diagnostik gesehen (S. 159).
Im multiaxialen Diagnosesystem elterlicher Erziehung für die Kinder- und Jugendhilfe werden folgende fünf Achsen erfasst: Achse I: Individualdiagnostik des Kindes im klinisch-psychologischen Bereich; Achse II: Erziehung und deren Bedingungen (mit den Subachsen Elterliche Erziehungshandlungen, Eltern-Kind-Beziehungen, Elterliche Paarbeziehung, familiäre Organisation, elterliche Personmerkmale); Achse III medizinische Diagnosen, die in einem deutlichen Zusammenhang mit der von der Jugendhilfe abzuklärenden Problem stehen, Achse IV: Aspekte der psychosozialen Familiensituation (mit den Subachsen Stressoren aus biografischen Übergängen, Stressoren der zeitlichen und materiellen Art, Stressoren aus dem Bereich der sozialen Unterstützung, das globale Belastungsniveau); Achse V: das psychische Funktionsniveau des Kindes (mit den Subachsen Individualität, Risikofaktoren, Ressourcen). Das MAD-J ist ein Instrument zur Diagnostik sowie in weiterer Folge zur Unterstützung von Interventionsentscheidungen sowie zur Formulierung von Entwicklungszielen.
Ein umfangreiches Literaturverzeichnis und Sachregister schließen das Buch ab.
Auf der CD-Rom findet sich ein Manual zur Anwendung des Multiaxialen Diagnosesystems mit 20 Formularen zum Ausfüllen. Sowohl das Manual als auch die einzelnen Formulare sind hervorragend als Arbeitsinstrument für den konkreten Einsatz in der Praxis geeignet. Hier kristallisieren die langjährigen Praxiserfahrungen, die die beiden Autoren in der Kinder- und Jugendhilfe in Berlin gemacht haben. An einer computergestützten Version des MAD-J wird übrigens gearbeitet.
Insgesamt bietet dieses Buch nicht nur einen wissenschaftlich fundierten und interessant zu lesenden Einblick zum Themenbereich Elterliche Erziehung und Hilfen zur Erziehung, es kann darüber hinaus mit dem entwickelten Klassifikationssystem MAD-J wertvolle Impulse und auch konkrete Handlungsstrategien für gezielte Diagnose-, Interventions- und Zielplanungen in der Kinder- und Jugendhilfe anbieten.
Das Vorhaben der Autoren, einen Beitrag zur Explikation und besseren Kommunizierbarkeit des vorhandenen Expertenwissens zu leisten (S.19), kann als gelungen betrachtet werden. Das MAD-J versteht sich nach Angabe der Autoren derzeit als ein Entwurf, dessen fachliche Fundierung, empirische Überprüfbarkeit und Praktikabilität durch ein Expertensystem noch aussteht.
Die Lektüre dieses Buches ist allen WissenschafterInnen und PraktikerInnen, die sich mit familiärer Erziehung und Erziehungshilfe befassen, sehr zu empfehlen; den Autoren ist ein umfassendes und konstruktives Feedback, das sie sich in der abschließenden Zusammenfassung von ihrer Leserschaft und vom Einsatz des MAD-J explizit erwarten, zu wünschen.
Hannelore Reicher, Graz
Repacholi, B. & Slaughter, V. (Eds.) (2003). Individual differences in theory of mind. New York und Hove: Psychology Press. ISBN 1841690937, 366 Seiten, fest gebunden. Pfund Sterling 39.95.
Das vorliegende Buch dokumentiert, dass die Auseinandersetzung mit der Entwicklung des psychologischen Verständnisses bei Kindern neue Perspektiven und Zugänge für ein besseres Verständnis sozialer Anpassungsschwierigkeiten ermöglicht. Die Beiträge dieses Buches setzen sich zum Einen mit dem psychologischen Verständnis bei Personen mit einer autistischen Störung auseinander, aber auch bei Patienten mit einer Schizophrenie, die ebenfalls große Probleme bei der Unterscheidung der beobachtbaren Realität und des persönlichen Wissens haben. Hier zeigen mehrere Beiträge, dass – wie angenommen – ein Zusammenhang mit sozial-kommunikativen Problemen besteht, dass dieser Zusammenhang aber nicht so eng und direkt ist, wie manchmal angenommen wurde. Zum anderen wird dem Einfluss des psychologischen Verständnisses auf das aggressive Verhalten und auf rücksichtsloses Verhalten in der Gruppe der Gleichaltrigen nachgegangen. Vor allem die Frage, wieweit unter den aggressiven Kindern und Jugendlichen nicht die Gruppe der sozial geschickten Manipulierer besondere Aufmerksamkeit verdient, findet erstmals größere Beachtung.