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Rezensionen Heft 1 Jahrgang 2006Weiß , Hans, Neuhäuser, Gerhard & Sohns, Armin (2004). Soziale Arbeit in der Frühförderung. München: Ernst Reinhardt Verlag, 176 S., Euro 14,90 Im ersten Kapitel wird zunächst eine allgemeine, professionsbezogene Standortbestimmung der Sozialen Arbeit in Frühförderung und Sozialpädiatrie vorgenommen. Das Kapitel gibt einen kurzen Überblick zu den verschiedenen Teilsystemen der Frühförderung und ihrer sozialrechtlichen Verankerung. Die Autoren problematisieren das aus der Übertragung persönlicher sozialer Verantwortung an eine abstrakte Autorität, den Sozialstaat, resultierende Spannungsfeld von öffentlicher Kontrolle und individueller Hilfe, in welchem sich Sozialarbeit und Frühförderung bewegen, und fordern, dieses nicht zu tabuisieren, sondern zum Gegenstand selbstkritischer Reflexion zu machen. Das zweite Kapitel stellt in knapper Form die strukturellen Merkmale des deutschen Frühfördersystems dar. Es informiert über dessen institutionelle und personelle Ausgestaltung, seinen allgemeinen Versorgungsauftrag, unterschiedliche Berufs- und Arbeitsfelder, sowie über die zwischen den einzelnen Bundesländern oft stark divergierende Versorgungswirklichkeit. Angesichts der vielfältigen Beeinträchtigungen, Behinderungen und sozialen Schwierigkeiten der in den Frühförder- und Beratungsstellen betreuten Kinder und ihrer Familien wird im dritten Kapitel der Versuch einer begrifflichen Abgrenzung der Zielgruppen dieser Einrichtungen unternommen. Als Oberbegriff schlagen die Autoren den Begriff der „Entwicklungsgefährdung“ vor, der sowohl auf Kinder mit manifesten Behinderungen Anwendung findet, als auch auf Kinder, die bestimmten psychosozialen Risikofaktoren ausgesetzt sind, ohne bereits in ihrer Entwicklung auffällig geworden zu sein. Ein besonderes Augenmerk wird auf die frühzeitige Erkennung von Entwicklungsgefährdungen bei Kindern in Armutslagen gelegt. Das vierte Kapitel umfasst eine Darstellung der rechtlichen und finanziellen Grundlagen von Frühförderung, wie sie seit 2001 als „Komplexleistung“ durch das neue Rehabilitationsgesetz (SGB IX) geregelt sind. Im fünften Kapitel werden Aufgabenfelder, Konzepte und Organisationsformen der Frühförderung und Sozialpädiatrie erörtert. Als Pflichtleistungen im Sinne des SGB IX werden fünf verschiedene Bereiche und deren konzeptionelle Umsetzung in mobilen, ambulanten, teilstationären und stationären Einrichtungen vorgestellt: präventive Maßnahmen und Früherkennung, Diagnostik, Förderung und Therapie, Beratung und Begleitung sowie Kooperation und Netzwerkarbeit. Es wird aufgezeigt, dass die letzte Entscheidung über den Ort der Betreuung bei den Eltern liegen sollte und eine Vereinheitlichung der unterschiedlichen Betreuungsformen, so wünschenswert dies aus Verwaltungssicht auch manchmal sein mag, im Hinblick auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Kinder und ihrer Familien kontraproduktiv wäre. Das sechste Kapitel befasst sich mit Schwerpunkten und Kriterien professionellen Handelns in der Frühförderung, stellt Ergebnisse der neueren Evaluations- und Resilienzforschung vor und macht deutlich, in welchen komplexen Wirkungszusammenhängen frühzeitige Interventionen bei entwicklungsgefährdeten Kindern stehen. Vor dem Hintergrund eines sozial-ökologischen, ressourcenorientierten Förderansatzes werden als Arbeitsprinzipien die Leitideen der Ganzheitlichkeit, der Familienorientierung, der Interdisziplinarität und der Vernetzung genannt. Im siebten Kapitel kommen ethische Aspekte des pädagogischen, therapeutischen und ärztlichen Handelns zur Sprache. Diese betreffen zum Teil hoch sensible Entscheidungsfelder, wie etwa bei Fragen der „passiven Euthanasie“, der Bildung, Förderung und Behandlung bei schwerer Behinderung, der Pränataldiagnostik und Präimplantationsdiagnostik sowie bei Coping-Prozessen im Zusammenhang mit dem so genannten „Annahme-Postulat“. Das achte Kapitel behandelt historische Aspekte der Sozialpädiatrie und der Frühförderung und zeichnet einige der Hauptentwicklungslinien heutiger Ideen und Ansätze nach. Im neunten und letzten Kapitel fassen die Autoren ihre Argumentation noch einmal zusammen und ziehen daraus Schlüsse für strukturelle und fachliche Weiterentwicklungen im System der Frühförderung. Sie plädieren für einen lebensweltlich orientierten Ansatz Sozialer Arbeit in der Frühförderung, deren wichtigsten Beitrag sie in der Beratung und Begleitung der Familien im Sinne eines „gelingenderen Alltags“ (Thiersch) sowie in der Vernetzung der bestehenden Angebote sehen. Dabei wird unter anderem auf die Gefahr einer zu starken Pädagogisierung und Therapeutisierung des Alltags von Familien mit entwicklungsgefährdeten Kindern hingewiesen, die zu einer unangemessenen „Kolonialisierung“ der Lebenswelt führen kann. Fazit: Das Buch gibt einen knappen und trotz der komplizierten Materie differenzierten Überblick über das Feld der Frühförderung und Sozialpädiatrie. Zum Teil bleiben die aufgezeigten Perspektiven und Handlungsansätze allerdings etwas allgemein und abstrakt. Wünschenswert wäre unter anderem eine konkretere Bestimmung des Verhältnisses von Frühförderung und Sozialer Arbeit. So wird nicht immer ganz deutlich, ob Soziale Arbeit als eine Teilaufgabe von Frühförderung zu begreifen ist, oder sich die Frühförderung insgesamt an den Prinzipien der Sozialen Arbeit, zum Beispiel dem Lebenswelt- bzw. Alltagsbezug, orientieren sollte. Von diesen kleineren Vorbehalten abgesehen bietet das Buch insgesamt eine gut lesbare Einführung in das Thema Frühförderung, deren Schwerpunkt zwar auf dem Gebiet der Sozialen Arbeit liegt, dessen Lektüre sich aber auch für andere Berufs- und Interessengruppen lohnen dürfte, die einen ersten Zugang zu diesem Thema suchen. Thomas Hoffmann, Reutlingen
Theunissen, Georg (2005). Entwicklung – Ästhetische Erziehung – Kunstunterricht – Kulturarbeit. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt, 205 S., Euro 22,00 Das vorliegende Buch möchte vor allem Interesse und Verständnis für Bildnereien von Menschen mit geistiger Behinderung wecken und dabei die besondere Bedeutung der ästhetischen Praxis für deren seelische Gesundheit und Persönlichkeitsentfaltung sichtbar machen. Das freiheitsfördernde Potenzial ästhetischer Prozesse, kunstphilosophisch etwa begründet unter Bezugnahme auf Schillers Briefe zur ästhetischen Erziehung, soll allen Menschen mit geistiger Behinderung zugute kommen, nicht nur den gesellschaftlich hochgeschätzten Außenseiterkünstlern. Für eine pädagogische Umsetzung wird jedoch ein theoretisch fundiertes Modell benötigt. Hier setzt Georg Theunissen an, indem er zunächst einmal grundlegende Kenntnisse über bildnerische Prozesse vermittelt, im Sinne eines Studienbuches, einer Einführung in die fachlichen Zusammenhänge. Eine zentrale Rolle spielt darin die Gliederung des bildnerischen Entwicklungsgeschehens, vom ontogenetisch frühen Schmieren und Sudeln über das Kritzeln, die Schemaphase bis hin zu Ausdrucksformen in Jugend und Erwachsenenalter. Theunissen baut hier auf den Forschungen von H.-G. Richter auf. Man muss das ja einmal im Zusammenhang gelesen und reflektiert haben, um die bildnerischen Ausdrucksergebnisse von Menschen mit geistiger Behinderung annähernd einordnen und verstehen zu können. Erst auf dieser Basis lassen sich dann zielgruppenbezogene oder ganz individuelle ästhetische Förderaktivitäten entwickeln, je nach Situation, je nach Gruppe, je nach Kontext usw. Georg Theunissen widmet sich ferner der überaus ambivalenten Fachgeschichte der Heilpädagogischen Kunsterziehung und arbeitet diesbezüglich frühe richtungsgebende Ansätze heraus, wie etwa die Arbeitsweisen von Georgens & Deinhardt, die bereits im 19. Jahrhundert Wegweisendes geleistet haben, in Richtung einer subjekt- und prozessorientierten Heilpädagogischen Kunsterziehung. Zugleich gab es in dieser Fachgeschichte genügend Abschreckendes, etwa den formalistischen Zeichenunterricht in „Hilfsschulen“ und „Idiotenanstalten“. Diese historiografische Perspektive mündet in einen fachdidaktischen Diskurs, der basal orientierte, therapeutisch orientierte und sachorientierte Bezüge unterscheidet und in einem Phasenmodell der therapeutisch orientierten ästhetischen Erziehung wiederum zusammenführt. Eine vergleichbare theoretische Grundlegung wird für den außerschulischen Bereich geleistet und mit Blick auf Kulturarbeit, kreative Werkstatt-Arbeit usw. expliziert. Sowohl für den schulischen als auch für den außerschulischen Bereich werden schließlich ausgewählte Praxis-Einheiten dokumentiert und auf die in ihnen enthaltenden Sinngehalte befragt. Darin wird eine enorme Bandbreite an ästhetischen Ausdrucksmöglichkeiten sichtbar, vom Malen nach Musik, über aktionsorientierte Formen wie Körperbemalungen, Körperverpackungen, Gestaltungen mit Abfallmaterialien, über Malaktionen mit Kleisterfarben oder das Anfertigen von Assemblagen bis hin zu Gestaltungen mit Ton oder Gips. Bemerkenswert auch die museumspädagogische integrative Projektarbeit im Kinderkulturzentrum „Krokoseum“, das zu den Franckeschen Stiftungen zu Halle gehört. Das Buch wendet sich vor allem an Lehrerinnen und Lehrer, heil- und sozialpädagogische Fachkräfte sowie Studierende der Heilerziehungspflege und Heilpädagogik, des Sozialwesens, der Kunstpädagogik sowie der schulischen Sonderpädagogik. Ihnen allen wird in der Tat das bildnerische Schaffen von Menschen mit geistiger Behinderung näher gebracht – im verstehend-hermeneutischen Sinne, im Sinne von Akzeptanz und Wertschätzung von Vielfalt und Unterschiedlichkeit, im Sinne des pädagogischen Nutzens von Chancen und Potenzialen, die in der ästhetischen Sache liegen, in Richtung Selbsterkenntnis, Identitätsbildung, Empowerment. Denn der ästhetische Prozess verdichtet und transportiert vorentworfene Freiheitserfahrungen und Handlungspotenziale, die das einzelne Subjekt befähigen können, beeinträchtigte oder beeinträchtigende Lebenslagen zu transzendieren. G. Theunissen zeigt das sehr anschaulich auf, vom theoretischen Diskurs, über die hergestellten praktischen Bezüge bis hin zu den Bilddokumentationen und Bildbeschreibungen. Das Buch ist gewissermaßen klassisch aufgebaut, indem es von der Theorie zur Praxis führt, von der Geschichte zur Gegenwart. Zahlreiche ansprechende und ausdrucksstarke Bildreproduktionen und Momentaufnahmen aus ästhetischen Prozessen illustrieren und verdeutlichen das Gesagte, auf allen Ebenen. Es wurde überdies eine große Fülle an relevanter Fachliteratur verarbeitet. Es waltet eine gedankliche Weite, in den Blickrichtungen. Man gewinnt so einen guten Überblick über das weitverzweigte Gebiet der Heilpädagogischen Kunsterziehung bei Menschen mit einer geistigen Behinderung und man wird neugierig, den zahlreichen Querverweisen zu folgen und tiefer in die Materie einzusteigen. Dr. Joachim Bröcher, Nümbrecht
May, P. (2001). Lernförderlicher Unterricht, Teil 1: Untersuchung zur Wirksamkeit von Unterricht und Förderunterricht für den schriftsprachlichen Lernerfolg. Frankfurt a.M.: Peter Lang. 528 Seiten, flexibel gebunden. Euro 50,10 Die recht umfangreiche Monographie berichtet von einem recht umfangreichen und langjährig von dem Autor wissenschaftlich begleiteten Projekt zur Prävention und Intervention bei Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten in Hamburg (PLUS, „Lesen und Schreiben für alle“). Im Rahmen dieses Förderprojekts wurde eine relativ große Gruppe von Lehrern zu Schriftsprachberatern ausgebildet, die an der Auswahl und im Weiteren an der Förderung von Kindern mit LRS-Schwierigkeiten mitwirken sollten. Die Bedingungen, die die Entwicklung und den Verlauf dieser Schwierigkeiten beeinflussen, wurden durch vielfältige Untersuchungen analysiert. Im Vordergrund dieser Analyse standen dabei schulische Faktoren, der Unterricht und seine Gestaltung sowie die Lehrer-Schüler-Interaktion und darüber hinaus auch die Fördermaßnahmen inner- und außerhalb der Klasse. Diese Bedingungen wurden sowohl durch Befragung der Lehrer (und der Schüler) als auch durch Unterrichtsbeobachtung erfasst. Auch Schülermerkmale wurden durch Befragung der Lehrer und der Schüler in diese Analyse einbezogen. Diese imponierende Leistung wurde noch dadurch ergänzt, dass sich der Autor bemühte die doch recht umfangreiche Literatur zu LRS-Schwierigkeiten in wesentlichen Auszügen darzustellen. Der Autor begibt sich damit in Gefahr, den Leser nahezu zu überfordern, wozu auch beiträgt, dass sich der Autor nicht davor scheut, vielen Verzweigungen in den sich auftuenden Fragestellungen nachzugehen. Auch der Rezensent fand dabei manche Arbeit, die ihm bisher nicht bekannt war. Trotzdem wird bedauert man auch dieses Ausschweifen in der Literatur auch, da die Beschreibung der Untersuchungen des Autors mehr Erläuterungen verdient hätte und der innere Faden in der Darstellung des Projekts und der begleitenden Untersuchung immer wieder verlorengeht. Die Fördermethode und deren Variationen werden nicht so leicht durchsichtig. Dies wird auch dadurch kompliziert, dass zu verschiedenen Zeitpunkt der Längsschnittuntersuchung immer wieder unterschiedlich große Stichproben gezogen wurden, noch dazu die Untersuchung an zwei Kohorten durchgeführt wurden. Die Analyse sowohl die individuelle als auch die Klassenebene beachten will, was sicher vernünftig ist, aber eben schwer nachzuvollziehen ist. Die Untersuchung erbrachte einige für die schulische Förderpraxis wesentliche Ergebnisse. Sie bestätigt insgesamt die Aussage, dass frühzeitig erfolgende Fördermaßnahmen längerfristig am wirksamsten sind, kommt aber gleichzeitig zu dem Schluss, dass klassenintern erfolgende Fördermaßnahmen weniger wirksam sind als klassenexterne. Insgesamt also ein Buch, das allen, die sich intensiver mit dem Förderunterricht, ja auch mit dem regulären Unterricht im Lesen und Schreiben auseinander setzen, sehr empfohlen werden kann, das allerdings Mängel in der Explikation der eigenen Ergebnisse aufweist und auch deshalb kein leicht zu lesendes Buch darstellt. Christian Klicpera, Wien
May, P. (2001). Lernförderlicher Unterricht, Teil 2: Wege zum Lernerfolg in der Grundschule. Porträts von Klassen mit hohem Lernerfolg. Frankfurt a.M.: Peter Lang. 199 Seiten, flexibel gebunden. Euro 24,50 In diesem zweiten Band versucht der Autor die Ergebnisse der Unterrichtsanalyse in der Gesamtstichprobe durch eine Beschreibung der Situation in neun Klassen mit einem hohen Lernfortschritt anschaulich zu machen. Hier tauchen allerdings gewisse Bedenken auf: die Erfolge beziehen sich auf die Fortschritte im Lesen und Rechtschreiben in den ersten Klassenstufen. Bis die hier berichteten Analysen durchgeführt werden konnten, war ein Teil der Klassen allerdings schon in der vierten Schulstufe und ein anderer Teil der Lehrer hat bereits eine neue erste Klasse übernommen, über deren Lernfortschritt eigentlich nichts bekannt ist. Insofern greift die Logik der Klassenauswahl meiner Ansicht nach nicht so ganz. Trotzdem ist das Bemühen sicher anzuerkennen, die Analyse an der großen Stichprobe, die im ersten Band dieser Monographie beschrieben wurde, durch Beschreibung der Arbeit in einzelnen Klassen zu ergänzen. Christian Klicpera, Wien
Mann, C., Oberländer, H. & Scheid, C. (2001). LRS Legasthenie. Prävention und Therapie – Ein Handbuch. Weinheim und Basel: Beltz Verlag. 423 Seiten, fest gebunden. Euro 35,00 Die Psychologin Christine Mann hat mit diesem als Handbuch bezeichneten Band eine Darstellung vorgelegt, die sich wohl in erster Linie an Legasthenie-Therapeuten wendet. Es handelt sich dabei um eine Darstellung, in der von praktischen Erfahrungen bzw. von einem – allerdings nur angedeuteten und als linguistisch bezeichneten – Modell der Lese- und Schreibentwicklung ausgehend, konkrete Empfehlungen bezüglich der Unterstützung von Kindern, die besondere Probleme beim Lesen- und Schreibenlernen haben, gegeben werden. Die Ratschläge der Autorin erscheinen überwiegend vernünftig, basieren wohl zu einem großen Teil auf eigenen Erfahrungen bzw. jener anderer Therapeuten und wohl auch auf der Rezeption der neueren deutschsprachigen Literatur zu diesem Thema. Mit einer gewissen Freude konnte ich feststellen, dass auch unsere eigene Darstellung (Klicpera & Gasteiger-Klicpera, 1998) recht intensiv rezipiert wurde. Nicht mit allen Ratschlägen der Autorin (die meisten Kapitel wurden von der Erstautorin verfasst) wird man als „Experte“, der stärker an der empirischen Forschung orientiert ist, einverstanden sein (und bedauern, dass die Wirksamkeit der Ratschläge zu wenig belegt sind). Es handelt sich insgesamt um eine Darstellung, die stark an der deutschsprachigen Tradition der LRS-Therapie orientiert ist und deshalb auch Akzente setzt, die sich auf Grund der empirischen Forschung nicht so ohne weiteres begründen lassen (z.B. Verwendung von Handzeichen). In Teilen sind auch größere Auslassungen und Mängel festzustellen, etwa wird nur unzureichend auf die Förderung des Leseverständnisses oder der schriftlichen Ausdrucksfähigkeit hingewiesen. Auch der Förderung der Lesegeschwindigkeit und der phonematischen Bewusstheit (sowohl in der Prävention – siehe etwa das Würzburger Trainingsprogramm – als auch im Erstleseunterricht) wird zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet ebenso den Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit den Eltern. Zwar wird insgesamt eine zu begrüßende Zurückhaltung gegenüber dem Konzept der Förderung zugrundeliegender („basaler“) Teilleistungen geübt, doch erscheinen mir die von den beiden Mitautorinnen beigesteuerten Kapitel über die orthoptische Behandlung bzw. die sensorische Integration zu wenig kritisch. Schließlich ist auch darauf hinzuweisen, dass dem Buch ein vernünftig erstelltes Sachregister helfen könnte. Christian Klicpera, Wien
Obolenski, A. (2001). Integrationspädagogische Lehrerinnen- und Lehrerbildung. Grundlagen und Perspektiven für „eine Schule für alle“. Bad Heilbrunn/Obb.: Julius Klinkhardt. 350 Seiten, flexibel gebunden. Euro 21,50 Frau Obolenski hat in diesem Buch, das die Veröffentlichung ihrer Dissertation an der Universität Oldenburg darstellt, versucht, die These (u.a. schon vor einiger Zeit von Eberwein formuliert) zu entfalten, dass ein integrativer Unterricht von Schülern mit Behinderungen keiner „Sonderpädagogik“ bedarf, sondern nur einer guten „Allgemeinpädagogik“. Diese These beruht nach Ansicht der Autorin einerseits darauf, dass die didaktischen Prinzipien der Sonderpädagogik sich nicht wesentlich von jenen unterscheiden würden, die auch in der Allgemeinen Pädagogik propagiert werden. Andererseits wird darauf verwiesen, dass Sonderpädagogen sich bei der Realisierung dieser Prinzipien nicht als wesentlich kompetenter erweisen würden als andere Lehrer und dass schließlich der Erfolg eines Unterrichts in der Sonderschule nicht größer sei als jener in einer Regelschule. Die für die vergleichbare Kompetenz der Sonderpädagogen und der übrigen Lehrer angeführten Belege sind allerdings dürftig, auch scheint mir die prinzipielle Vergleichbarkeit der didaktischen Prinzipien in der Sonderpädagogik und der Allgemeinen Pädagogik nicht zu widerlegen, dass es für den Umgang mit schwachen und im Lernen beeinträchtigten Schülern nicht der Vertrautheit mit besonderen Hilfestellungen bedarf. An diese Auseinandersetzung mit der Sonderpädagogik schließt sich eine eher kurz gehaltene und recht allgemeine Kritik an der Lehrerausbildung an, um dann im zentralen zweiten Abschnitt des Buchs mögliche Alternativen aufzuzeigen. Als Leitidee für eine integrationspädagogische Didaktik wird dabei der Begriff Didaktik der Vielfalt gewählt, wobei als zugehörige Grundkompetenzen das Arbeiten mit offenen Konzepten und kommunikative Handlungskompetenzen genannt werden. Zudem werden einige Basisqualifikationen für die integrationspädagogische Tätigkeit genannt, auf die jeweils etwas näher eingegangen wird: Weiterlern-, Kooperations- und differenzierende Förderqualifikation. In einem weiteren Abschnitt werden vier Bausteine einer LehrerInnen-Ausbildung vorgestellt, die einerseits zu stärkerer Reflexion in der Ausbildung beitragen und andererseits eine stärkere Theorie-Praxis-Verschränkung bewirken sollen. In einem letzten Teil wird ein Modell für eine strukturelle Weiterentwicklung in der LehrerInnenausbildung vorgestellt. Insgesamt hinterlässt das Buch einen gemischten Eindruck. Auf der einen Seite wird der Versuch unternommen, Ausbildung neu zu konzipieren und dabei verschiedene hochschuldidaktische Erfahrungen einzubringen. Auf der anderen Seite erscheint vieles doch recht schlagwortartig vorgebracht und die von der Autorin gesetzten Akzente erscheinen durchaus hinterfragbar. In nicht zu ferner Zukunft wird es jedoch in jedem Fall zu einer Neubesinnung auf die Aufgabe der Ausbildung von SonderpädagogInnen und des Verhältnisses zwischen Sonder- und Allgemeinpädagogik in der Lehrerausbildung kommen müssen. Christian Klicpera, Wien |
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aktualisiert am 22.03.2006 |