Editorial von
Herbert Goetze aus: Heilpädagogische Forschung Nr. 1 2016
Liebe Leserin, lieber Leser
der Heilpädagogischen Forschung,
man mag kaum glauben, dass Fachvertreter und Fachvertreterinnen an den hiesigen Hochschulen überhaupt noch
dazu in der Lage sind, den ihnen qua Dienstauftrag zugewiesenen Forschungsauftrag angesichts der Umwälzungen
durch neu zu entwickelnde Studienordnungen und des Kampfes um minimale Qualitätsstandards in der Ausbildung zu
erfüllen. Aber es gibt sie noch, die Kolleginnen und Kollegen, die allen Anfechtungen zum Trotz zu solider
Forschungsarbeit finden. Diese Ausgabe der Heilpädagogischen Forschung wird davon Zeugnis ablegen.
Unter dem Titel „Belastung von Müttern bei Autismus-Spektrum-Störungen und Intelligenzminderungen
– eine vergleichende Analyse mit dem Eltern-Belastungs-Inventar“ legt Klaus Sarimski an erster
Stelle eine Studie vor, in der die besonderen und oft übersehenen Belastungen von Müttern untersucht werden.
Wie zu erwarten, geben alle Elternteile hohe Belastungen zu erkennen, spannend sind dann aber die Ergebnisse,
die auf Belastungsunterschiede zwischen den beiden Untersuchungszielgruppen hinweisen.
In dieser Ausgabe der Heilpädagogischen Forschung werden Sie gleich zwei Beiträge zum Problem der Diagnostik
und Förderung von Rechenleistungen bei Grundschulkindern finden. Stefan Voß von der Rostocker Universität hat
seine Arbeit „Rechengeschwindigkeit, -präzision oder -flüssigkeit? Zur Vorhersage und Förderung der
Rechenleistungen von Erstklässlern“ tituliert; sein Beitrag basiert auf dem Konstrukt der
Rechenflüssigkeit als Indikator für Rechenschwierigkeiten, wobei Rechengeschwindigkeit, -präzision sowie
-flexibilität eine Rolle spielen. Die eigene Untersuchung beantwortet die Frage nach der besten Vorhersage der
Mathematikleistungen zum Ende des ersten Schuljahres und entsprechend abgeleiteten Handlungsempfehlungen für
verschiedene Rechenprofile.
Inhaltlich etwas weiter gefasst ist der Beitrag zum Rechnen von Jürgen Walter unter dem Titel
„Prognostisch-klassifikatorische Aussagen von mathematischen Screening-Verfahren am Anfang der
Grundschulzeit: eine Bestandsaufnahme“, in welchem es um eine kritische Sichtung der einschlägigen
Screening-Verfahren zur prognostischen Aufdeckung von Rechenschwächen im Grundschulalter geht. In der Darlegung
spielen wichtige prognostisch-klassifikatorische Güte-Indizes bezüglich der Vorhersage einer Rechenschwäche die
entscheidende Rolle, um die vorhandenen Instrumente beurteilen zu können.
Die Kölner Forschergruppe Barbara Maria Schmidt, Petra Breuer-Küppers, Sina Göntgen und Alfred Schabmann hat
die sog. prosodische Sensitivität (= Sensitivität für Betonungs- und Längenmuster in der gesprochenen Sprache)
und phonologische Bewusstheit nicht bei Schülerpopulationen, sondern bei schwachen und durchschnittlichen
erwachsenen deutschen Lesern untersucht. Ziel der vorliegenden Studie war es, Literaturbefunde zum Effekt der
prosodischen Sensitivität auf das Lesen bei Erwachsenen zu überprüfen sowie Effekte beider Konstrukte auf das
Lesen zu analysieren. Die Ergebnisse beantworten die Frage, wie Defizite bei schwachen Lesern in diesem
Zusammenhang zu erklären sind und welche der beiden Kompetenzen vermutlich als Vorläuferfertigkeit fungiert.
Ich verspreche Ihnen also nicht zu viel, wenn ich meine, dass es sie noch gibt, nämlich Fachleute, die allen
Anfechtungen zum Trotz zu solider Forschungsarbeit in der Lage sind. Ihnen wünsche ich, dass Sie mir nach der
Lektüre dieser Ausgabe der Heilpädagogischen Forschung zustimmen werden,
Ihr
Herbert Goetze |