Heilpädagogische Forschung
 
Der Umgang mit Sexualität und Familiengründungswünschen bei Jugendlichen mit Trisomie 21. Sicht der Jugendlichen selbst und ihrer Eltern
aus: Heilpädagogische Forschung Nr. 3 2013
von Hellgard Rauh, Steffen Bahre und Herbert Goetze

In der vorliegenden Untersuchung wird Sexualitätswünschen von Jugendlichen mit Trisomie 21 nachgegangen. Auch Jugendliche mit einer geistigen Behinderung müssen sich in dieser zentralen Lebensphase dieser Entwicklungsaufgabe stellen, da sie sich in der Regel körperlich nicht oder kaum verzögert entwickeln. Der Umgang mit der erwachenden Sexualtität, den Partnerwünschen und dem Kinderwunsch stellt aber für sie selbst und auch für ihre Bezugspersonen eine besondere Herausforderung dar. Sexualität bei geistig behinderten Jugendlichen und jungen Erwachsenen war lange durch viele Tabus gekennzeichnet. Die gesetzlichen Veränderungen, z.B. das Betreuungsgesetz aus dem Jahr 1992, aber auch die UNO-Konvention über die Rechte von Menschen mit geistiger Behinderung aus dem Jahr 2006, von der Bundesregierung Deutschland 2008 übernommen, haben einen öffentlichen Diskussionsprozess eingeleitet. Wie weit dieser aber auch bereits die Einstellungen der unmittelbar Betroffenen verändert hat, ist bislang ungeklärt. In der hier vorgestellten Untersuchung wurden überwiegend die Eltern, aber zu einigen Fragen auch die Jugendlichen selbst befragt, und zwar zur Akzeptanz von Sexualität, Partnerschaft und Familiengründung bzw. Kinderwunsch. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen waren zum Zeitpunkt der Untersuchung (2010) 17–20 Jahre (n = 18) bzw. 21–24 Jahre (n = 12) Jahre alt und entstammten zu zwei Dritteln einer Längsschnittstudie, die im Säuglingsalter der Teilnehmer im damaligen Berlin-West begonnen worden war; 11 jüngere Teilnehmer wurden vom Zweitautor neu und überwiegend im Lande Brandenburg rekrutiert. 19 der 30 Teilnehmer waren männlichen, 11 weiblichen Geschlechts. Zusätzlich zu den Fragen zum Umgang mit Sexualität wurden der kognitive Entwicklungsstand (Minnesota-Entwicklungsfragebogen) und der Entwicklungsstand der sozialen Kompetenz (Vineland Social Adaptive Scales) der jungen Leute mit Trisomie 21 durch Befragung ihrer Eltern erhoben. Im Ergebnis zeigte sich, dass alle befragten Eltern ihren Jugendlichen grundsätzlich die Möglichkeit von Geschlechtsverkehr zugestanden. Auch befürworteten sie einen antizipierten Heiratswunsch ihrer Kinder. Einer möglichen Elternschaft von Menschen mit geistiger Behinderung standen sie aber eher skeptisch bis ablehnend gegenüber. Eltern mit einem höheren Bildungsgrad hatten die größeren Bedenken. Das kognitive Entwicklungsniveau der Jugendlichen war für deren eigenen Ehe- oder Kinderwunsch nicht von Bedeutung, wohl aber ihr Geschlecht und ihr Alter: Die jungen Frauen träumten eher von Ehe, Familie und Kindern als die jungen Männer, und die etwas älteren Befragten äußerten eher Bedenken. Die durchgängige Zustimmung der befragten Eltern zur Sexualität ihrer geistig behinderten Kinder war in diesem Ausmaß nicht erwartet worden. Ebenso überraschten die von etlichen der Jugendlichen doch recht differenzierten Zukunftsvorstellungen.

Schlüsselwörter: Trisomie 21, Down-Syndrom, Sexualität bei geistiger Behinderung, Heirat und Elternschaft bei Behinderunge

How sexuality and starting a family are perceived by youth with trisomy 21 and their parents.

This study deals with sexuality problems of youth with trisomy 21. Youth with intellectual disabilities (like non disabled youngsters) are faced with developmental tasks during this important developmental period, since their physical development seems nearly not delayed. Important areas of concern for them and their caregivers are devel­oping sexual drives, wishes for a partner and desires for children. Historically sexuality of people with intellectual disabilities has been dealt with in a tabooed manner. But recent developments like changed German laws from 1992 on and the UN convention from 2006 (ratified by German parliament in 2008) may have opened an increased general public awareness of this topic. But it remains unclear, if attitudes of parties involved have changed simultaneously. In this study it is investigated how parents of youth with trisomy 21 and youngsters themselves view sexuality, wishes for a partnership and desires for a family and children of their own. N = 18 youngsters (aged 17–20 years) and N = 12 young adults (aged 21–24 years) were included in this investigation which took place in 2010. Two thirds of them were recruited from an earlier longitudinal study which was started years ago in Berlin West when targeted youngsters were still babies. In order to enlarge sample size the second author enlarged the sample size by includ­ing 11 participants from the state of Brandenburg (Germany). From 30 participants 19 were males. Applied instruments included a parent questionnaire about youth’ sexuality, the Vineland Adaptive Behavior Scales and a revised form of the Minnesota Child Development Inventory. Results indicated that parents did show positive attitudes towards granting sexual relationships of their children and anticipated wishes to be married. But there seem to be negative parental attitudes toward parenthood depending on parental higher social status. Youths’ cognitive levels were not related to youngsters’ wishes for family and parenthood, but gender and age were: Young women were likely to dream about marriage, family and children compared to young males, older participants were more concerned than the younger ones. It is concluded that the extent of parental acceptance of children’s sexual needs had not been anticipated. Also, a surprisingly differentiated perception of fu­ture life of many youngsters with trisomy 21 was found.

Keywords: trisomy 21, Down syndrome, sexuality, intellectual disability, marriage, parenthood.

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aktualisiert
am 11.03.2015