Editorial von
Herbert Goetze aus: Heilpädagogische Forschung Nr. 1 2013
Liebe Leserin, lieber Leser
der Heilpädagogischen Forschung,
das schulische und außerschulisch immer wieder aktuelle Thema der jugendlichen Aggressivität und Delinquenz wird im ersten Forschungsbeitrag behandelt. Christoph Michael Müller vom Fribourger Institut leitet seine Untersuchung mit dem Statement ein, dass das angemessene diagnostische Erfassen von Verhaltensproblemen bei Kindern und Jugendlichen im Rahmen von wissenschaftlichen Studien generell eine bekannte Herausforderung darstellt, und diese Feststellung gilt umso mehr bezogen auf aggressiv-oppositionelles and delinquent-kriminelles Verhalten, das sich häufig der direkten Beobachtung entzieht. Tatsächlich erfassen unterschiedliche Informationsquellen immer nur einen Ausschnitt dieses Problemverhaltens. Müller weist hier einen empirisch fundierten Ausweg, indem er ein Instrument entwickelt, das Selbst- und Peerauskünfte verarbeitet. In der hier vorgelegten (und ausgezeichnet gemachten) Studie wurden Skalen entwickelt und evaluiert, die die Erhebung des problematischen Verhaltens auf der Grundlage von Selbst-, Klassen- und Peerauskünften bezüglich der letzten 14 Tage bei Jugendlichen der 7.–9. Klassen ermöglichen.
Welche konkreten Auswirkungen haben eigentlich Lehrerfeedbacks bezogen auf Leistung und Verhalten von Schülern? Dieser Frage, deren Beantwortung erhebliche Bedeutung für den gemeinsamen Unterricht hat, geht Christian Huber in seiner Studie unter dem Titel „Der Einfluss von Lehrkraftfeedback auf die soziale Akzeptanz bei Grundschulkindern – eine experimentelle Studie zur Wirkung von sozialen Referenzierungsprozessen in Lerngruppen“ nach. Er untersucht mit Hilfe einer ausgefeilten Methodologie, ob das Lehrkraftfeedback (ursächlich) die soziale Akzeptanz bei Grundschulkindern beeinflusst, ob die Stärke des Effektes von Lehrkraftfeedback auf die soziale Akzeptanz davon beeinflusst wird, inwieweit die Probanden eine Lehrkraft mögen und akzeptieren, ob verhaltensbezogene Lehrkraftrückmeldungen einen höheren Effekt auf die soziale Akzeptanz als leistungsbezogene Rückmeldungen haben und welchen Einfluss möglicherweise das Geschlecht der Kinder dabei hat. Lassen Sie sich von den Antworten auf diese wichtigen Forschungsfragen überraschen.
An dritter Stelle wird das immer wieder aktuelle Thema der Lehrer-Schüler-Interaktionen auf dem Hintergrund der Bindungstheorie aktualisiert. Das Besondere des hier vorgestellten Ansatzes ist, dass die Bindungsorganisation von Sonderlehrkräften in ihrer möglichen Auswirkung auf Bindungsstörungen von Schülern im Fokus steht. Wie Sie im betreffenden Beitrag nachlesen können, hat die Forschungsmethode zahlreiche Probleme zu lösen, denn: Welche Lehrkraft, die möglicherweise selbst bindungsgestört ist, lässt sich schon gern videodokumentiert in die eigenen Karten schauen? Forschungen zu diesen Fragen stehen noch ganz am Anfang, weshalb man noch keine gesicherten Ergebnisse erwarten darf. Zumindest reißen die in diesem Beitrag dokumentierten Beobachtungen neue Fragehorizonte nach der Qualifikation und Ausbildung von Lehrkräften an Fördereinrichtungen auf.
Es folgt ein Bericht des südkoreanischen Sonderpädagogen Ki-Heung Kim. Der Autor hat sich die Mühe gemacht, den Inklusionsstatus in Südkorea und in Deutschland miteinander zu vergleichen. Er bringt die deutschen Verhältnisse aus seiner Sicht auf den Punkt, indem er auch seine Eindrücke aus drei deutschen inklusiven Modellschulen schildert, um dann anschließend die südkoreanischen inklusiven Schulverhältnisse vergleichend darzulegen. Sie dürfen eine Antwort auf die Frage erwarten, welches der beiden Länder einen höheren Entwicklungsstand vorzuweisen hat. Was meinen Sie?
Diese erste Ausgabe der Heilpädagogischen Forschung des Jahres 2013 hat wiederum Arbeiten zum Inhalt, die von hohen aktuellem Interesse für die Förder- und Heilpädagogik sind,
Ihr
Herbert Goetze |