Editorial von
Herbert Goetze aus: Heilpädagogische Forschung Nr. 2 2007
Editorial als Audio hören!
Liebe Leserin und lieber Leser der Heilpädagogischen Forschung,
‚FC‘ (facilitated communication): Ende mit Schrecken oder Schrecken ohne Ende? Leider gibt es wieder einmal einen Anlass, auf die Gefahren der unreflektierten Nutzung der sog. Gestützten Kommunikation hinzuweisen. Zwar hat es in der Heilpädagogischen Forschung in der ersten Ausgabe des Jahres 2003 eine von den zentralen Fachautoritäten unterstützte und unterzeichnete Resolution gegen den Einsatz von FC gegeben, dem wissenschaftliche Beiträge in anderen Fachzeitschriften gefolgt sind. Trotzdem feiert die FC weiter ‚fröhliche Urständ‘ an manchen Ausbildungsstätten und Betreuungsstätten, es werden weiterhin Geldmittel zur Beforschung dieses wissenschaftlich unsoliden Verfahrens zur Verfügung gestellt und ausgegeben. Ein Erfahrungsbericht, den Sie in dieser Ausgabe der Heilpädagogischen Forschung vorfinden werden, wird aufzeigen, welche fatalen Folgen der FC-Einsatz für Betroffene nach sich ziehen kann, die sich von Verunglimpfung über Verleumdung bis zur Gefährdung beruflicher Existenzen und Untersuchungshaft erstrecken können, also Tendenzen, die einer aufgeklärten Sozial- und Wissenschaftskultur unwürdig sind und denen sich die Heilpädagogische Forschung weiterhin vehement entgegenstellen wird. Denn diese Fachzeitschrift wird weiterhin bemüht sein, solide Forschung in der Heil- und Sonderpädagogik durch die Publikation fundierter Forschungsarbeiten zu unterstützen.
In diesem Sinn ist an erster Stelle die Arbeit von Andreas Eckert herauszustellen, mit der ein Fragebogen zur Bedürfnislage von Eltern behinderter Kinder, abgekürzt als FBEBK, vorgestellt wird, wobei bereits erste Ergebnisse einer Erprobung dieses Instrumentes präsentiert und diskutiert werden.
An zweiter Stelle steht die Arbeit der Wiener Autorengruppe um Christian Klicpera, einem Redaktionsmitglied und Autor der Heilpädagogische Forschung, von dem eine Fülle von viel beachteten Forschungsprojekten ausgegangen ist. Kathrin Pfalzer, Barbara Seeber, Marlene Wimler und Christian Klicpera stellen hier nun eine Untersuchung vor, die auf die Unterschiede im Selbstkonzept und in der Wahrnehmung der Lebensqualität zwischen benachteiligten und nicht-benachteiligten Lehrlingen gerichtet ist. Die Autorengruppe konnte z.B. aufzeigen, dass die Schülerschaft von regulären Berufsschulklassen hinsichtlich Lebensqualität und Selbstkonzept höhere Werte als SchülerInnen aus integrativen Klassen und Lehrgängen erreichten, ein Ergebnis also, das für die Sonderpädagogik in der Berufsschule erhebliche Herausforderungen stellt.
Eberhard Grüning und Karl Hecht geben anschließend Auskunft über ein Forschungsprojekt, das mit der Chronopsychobiologischen Regulationsdiagnostik (CRD) (Hecht, 2001) einen neuartigen diagnostischen Weg einschlägt, der unter Beachtung der psychophysischen Regulation die Emotionsverarbeitung auf direkterem Weg aufzuzeigen in der Lage ist. Die Erfassung der Verarbeitungsqualität emotional-vegetativer Prozesse könnte insbesondere für jene Schülerklientels angezeigt sein, bei denen Befragungs- und Interviewinstrumente nicht anwendbar erscheinen. Die Autoren berichten weiterhin von ersten empirischen Ergebnissen mit diesem Diagnoseinstrument, nach denen z.B. eine Wiederanpassung nach deutlicher Belastung nur schwer und verzögert gelingt; sie sind kaum dazu in der Lage, die im Test simulierte belastende Situation ohne Einschränkung zu bewältigen.
Auch der letzte Beitrag hat das Thema Lebensqualität zum Inhalt, allerdings unter einer anderen Blickrichtung: Ursula Hoyningen-Süess, David Oberholzer und René Stalder schlagen mit Ihrem Beitrag eine sonderpädagogische Lebensqualitätskonzeption (sensiQoL©) vor, die die bisherigen Erkenntnisse der gesundheits- und wohlfahrtsorientierten Lebensqualitätsforschung zu berücksichtigen sucht. Diese Neukonzeption sonderpädagogischer Lebensqualitätsforschung – so die Schweizer Autorengruppe – verspricht grundlegende Auswirkungen für die disziplinäre Ausrichtung sonderpädagogischen Handelns und die konkrete sonderpädagogische Praxis.
Lassen Sie mich Ihnen ein weiteres Mal eine interessante wissenschaftliche Lektüre wünschen,
Ihr Herbert Goetze
|