Heilpädagogische Forschung
 
Editorial von Herbert Goetze aus: Heilpädagogische Forschung Nr. 1 2007

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Liebe Leserin, lieber Leser der Heilpädagogischen Forschung,

diese Zeitschrift hat ein Jubiläum zu feiern: Seit nunmehr zehn Jahren ist ihr Herstellungs- und Erscheinungsort die Universität Potsdam. Mancher mag sich fragen, was daran Besonderes sei. Wenn wir jedoch zehn Jahre zurück schauen, dann werden uns noch einmal jene Turbulenzen bewusst, die den Potsdamer Start begleitet haben: Bis Juli 1997 war noch keine einzige 97er Ausgabe erschienen und die Herausgebervorgänger taten alles, um einen Neustart zu er- schweren bzw. zu verhindern. Dass die Dinge dann langsam doch wieder ins Lot kamen, hatte man nicht für möglich gehalten, vielmehr einen Untergang dieser so wichtigen deutschsprachigen Forschungszeitschrift prognostiziert. Die Heilpädagogischen Forschung erfreut sich nun seit zehn Jahren einer Vitalität, die auch durch Bremsversuche von vielen Seiten nicht einzudämmen war. So lehnte z.B. die DFG Kostenzuschüsse für ihren Druck mit Gründen ab, die mehr als an den Haaren herbeigezogen schienen. Viele Personen, die im Laufe des Jahrzehntes auch wechselten, haben die Herstellung sicher gestellt, und manche haben sie über die Jahre hinweg mit deutlichem Wohlwollen begleitet, wie z.B. Prof. Dr. Dr. H.c. Gustav Kanter. Kollege Kanter hat vor kurzem seinen 80. Geburtstag gefeiert, und wir gratulieren ihm dazu aus vollem Herzen und in tiefer Dankbarkeit.

Ein anderer Wegbereiter der deutschsprachigen Sonderpädagogik und wissenschaftlicher Begleiter der Heilpädagogischen Forschung, Prof. Dr. Otto Speck, steht mit einem wichtigen, Impuls gebenden Beitrag an erster Stelle in dieser Ausgabe. „Das Gehirn und sein Ich? Zur neurobiologischen These von der Illusion eines bewussten Willens aus heilpädagogischer Sicht”, so lautet der provozierende Titel als Antwort auf eine Provokation. Speck geht der neurobiologischen These nach, dass Ich, Bewusstsein, freier Wille und Selbstbestimmung reine Illusionen seien und dass unser Gehirn alles Handeln unbewusst determiniere, und setzt überzeugende Einwände gegen solche Auffassungen, die erhebliche Gefahren in Bezug auf unser Menschenbild und auf heilpädagogisches und psychotherapeutisches Handeln herauf beschwören.

Auch diese Jubiläumsausgabe enthält weitere Beiträge unterschiedlicher sachlicher Provenienz, z.B. die Forschungsarbeit von Stefanie Hacker, Friedrich Lösel, Mark Stemmler, Stefanie Jaursch, Daniela Runkel und Andreas Beelmann, die den Titel trägt: Training im Problemlösen (TIP) – Implementation und Evaluation eines sozial-kognitiven Kompetenztrainings für Kinder. Hier wird ein sozial-kognitives Kompetenztraining für das Grundschulalter vorgestellt, welches in Anlehnung an das amerikanische PATHS Curriculum entwickelt wurde und auf die Förderung von Selbstkontrolle, sozialer Problemlösefertigkeiten und emotionaler Aufmerksamkeit abzielt. Der Programmevaluation zeigte hohe Teilnehmerzufriedenheit auf Seiten der Kinder sowie der Eltern sowie Generalisierungs- und Nachhaltigkeitseffekte in Elternhaus und Schule.

Es schließen sich vier fachlich unterschiedliche Berichte an. Armin Castello überprüfte das neue Fachkonzept zur Be- rufsvorbereitung von Jugendlichen aus Förderschulen und kommt z.B. zu dem Schluss, dass emotionale Stabilität, Antrieb/Ausdauer, Konzentration/Aufmerksamkeit und Arbeitsbelastbarkeit als wichtige Inhalte beruflicher Vorbereitung identifiziert werden können, und dass die Arbeitsbelastbarkeit und der Ordnungsbereitschaft ehemaliger Schüler/innen von Förderschulen vergleichsweise schlechter beurteilt werden. Der Bericht von Martha J. Meyer und Yung-bin Benjamin Lee aus den USA betrifft die Auswirkungen von Multimedia in Schulen, speziell die Wirkung von Untertiteln auf das Leseverständnis. Wie sich zeigte, werden die Leseverständnisraten und Lesebehaltensleistungen durch die neuartige Technologie gesteigert. Der letzte Bericht enthält die Zusammenfassungen der Herbsttagung der Arbeitsgruppe für empirische sonderpädagogische Forschung (AESF), die in Oldenburg vom 17. bis 18. 11. 2006 stattgefunden hat; aus diesem Bericht wird deutlich, welche Themen derzeit in der Forschung aktuell sind. Der letzte Bericht handelt von einem Auseinandersetzungsgegenstand, der anscheinend fern der Sonderpädagogik ist: Seit Jahren gibt es Auseinandersetzungen um die kassenärztliche Anerkennung der Gesprächstherapie als anrechenbares Psychotherapieverfahren. Für den sonderpädagogischen Bereich, insbesondere für die schulische Erziehungshilfe, hat die Nicht-Anerkennung der Gesprächstherapie jedoch markante Auswirkungen, denn den Zielklientels werden damit Hilfeleistungen vorenthalten, derer sie dringend bedürfen – und hier liegt die Relevanz für unseren Bereich.
Das Jubiläumsheft der Heilpädagogischen Forschung enthält also wieder ein breites Spektrum von Themen, Methoden und Ergebnissen.

Ich freue mich über Ihr gleich bleibendes Leseinteresse an der Heilpädagogischen Forschung,
Ihr Herbert Goetze

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aktualisiert am 22.07.2007