Editorial von
Herbert Goetze aus: Heilpädagogische Forschung Nr. 3 2005
Liebe Leserin,
lieber Leser der Heilpädagogischen
Forschung,
an erster Stelle möchte ich Ihnen zwei Nachrichten über zwei langjährige Autoren unserer Zeitschrift übermitteln. Die erste Nachricht macht uns betroffen und traurig: Unser Kollege und langjährige Weggefährte, Prof. Dr. Hermann Meyer, ist nach langer Krankheit im Juli verstorben.
Hermann Meyer, ein Abkömmling der Dortmunder ‘Professorenbrutstätte', hatte seinen Arbeitsschwerpunkt in der Geistigbehindertenpädagogik gefunden, wo er als unbequemer Antagonist verbreiteter Schulmeinungen seinen Weg der empirischen Fundierung dieses Faches konsequent bis zuletzt gegangen ist. Manche Querschläge haben ihn verbittert, aber er hat sich nie davon abbringen lassen, das frühzeitig als richtig Erkannte in aufrechter Weise gegen alle Anfeindungen durchzusetzen. Beispielhaft sei sein beachtlicher Beitrag zu “Angst in der Schule für Geistigbehinderte - Eine Studie zum Angstverhalten und Angsterleben von Schülerinnen und Schülern mit geistiger Behinderung” genannt, den er in dieser Zeitschrift veröffentlicht hat. Wir bedauern sein viel zu frühes Ableben von ganzem Herzen.
Die erfreuliche Nachricht: Matthias Grünke von der Universität Köln hat einen Ruf auf eine Professur für Lernbehindertenpädagogik an der Universität Oldenburg (Nachfolge Prof. Dr. Westphal) erhalten, und wir freuen uns sehr darüber, denn Matthias Grünke ist der Leserschaft der Heilpädagogischen Forschung als Autor renommierter Forschungsbeiträge zur Wirksamkeit der rational-emotiven Erziehung bei lernbehinderten Schülern sowie zur Berufsvorbereitung von lernbehinderten Jugendlichen bekannt. Möge seine Laufbahn weiterhin durch kreative wissenschaftliche Beiträge zur Sonderpädagogik gekennzeichnet sein, von denen unsere Leserschaft vielleicht auch profitieren wird.
Auch diese Ausgabe der Heilpädagogischen Forschung enthält wiederum hochrangige Forschungsbeiträge: An erster Stelle berichtet Marc Willmann von der Universität Hannover unter dem Titel “Die Schule für Erziehungshilfe 2005” über Ergebnisse einer bundesweiten Fragebogenerhebung zu den Organisationsformen der Förderschule im Bereich emotionale und soziale Entwicklung und kommt - nach einem bemerkenswerten Fragebogenrücklauf von 77% - zu erstaunlichen Detailergebnissen, die sicher zu Konsequenzen bei der Institutionsentwicklung führen werden. Anschließend wird Günter Faber Daten zur Effektivität eines Konzepts zur Rechtschreibförderung präsentieren, ein Konzept, “das den Einsatz visualisierter Lösungsalgorithmen systematisch mit verbalen Selbstinstruktionen kombiniert und dadurch die Aneignung orthographischen Regelwissens mit der Modellierung geeigneter Handlungsstrategien verknüpft”. Im Kontrollgruppenversuch kann Faber praktisch bedeutsame und inferenzstatistisch abgesicherte Leistungsvorteile für die trainierten Schüler demonstrieren. Eine weitere Forschungsarbeit betrifft in gewisser Weise Neuland: Die Wiener Autorengruppe Christian Klicpera, Simone Rainer und Nicole Gelautz hat in einem breiter angelegten Kontrollgruppenversuch den Einfluss eines klassenweisen Mitschüler-Tutoring auf die Leistungsentwicklung im Lesen und Rechtschreiben zu demonstrieren versucht und tatsächlich Leistungsfortschritte in den tutorierten Gruppen aufgefunden. Dass sich Leistungen im Lesen und Rechtschreiben durch den Einbezug von Tutoren steigern lassen, wird in der weiteren Fachdiskussion nicht ohne Widerhall bleiben.
Welche Themen derzeit in der Heilpädagogik fachlich diskutiert werden, davon zeugt der Bericht über die Tagung der Arbeitsgruppe Empirische Sonderpädagogische Forschung (AESF), die vor eniger Zeit am Institut für Erziehungswissenschaft der Karl-Franzens-Universität Graz (Österreich) stattgefunden hat. Das Resümee: Die Heilpädagogik ist weiter in Bewegung, und wir werden weiterhin kritisch zu beobachten haben, ob sie einen korrekten Kurs hält,
Ihr Herbert Goetze |