Heilpädagogische Forschung
 
Editorial von Herbert Goetze aus: Heilpädagogische Forschung Nr. 2 2005

Liebe Leserin und lieber Leser der Heilpädagogischen Forschung,

„Gestützte Kommunikation” (FC) in der Diskussion als Endlosschraube - in diesem Bild ließe sich vielleicht der gegenwärtige Stand zum FC-Thema charakterisieren. Sie werden sich erinnern: Die im Heft 1 aus 2003 in der Heilpädagogischen Forschung abgedruckte, von namhaften Experten unterzeichnete Resolution gegen die naive Verwendung der Gestützten Kommunikation hatte bei den Befürwortern der FC-Methode extreme Reaktionen ausgelöst, ohne dass allerdings glaubwürdige wissenschaftliche Befunde ins Feld geführt worden wären. In der Zwischenzeit hat sich wissenschaftlich zwar nicht viel bewegt, die befürwortende Praxis ignoriert weiterhin die begründeten Zweifel an der Authentizität der durch FC hervorgebrachten Botschaften. Konsequenterweise wurde in der Resolution gefordert, „dass in jedem Einzelfall unter kontrollierten Bedingungen die Authentizität der FC-Botschaften nachgewiesen werden muss”, eine Forderung, der selbst gemäßigte FC-Befürworter zustimmen.

Nun lässt sich in der aktuellen Ausgabe des dafür zuständigen Fachorgans „Unterstützte Kommunikation” (Heft 2, 2005, S. II) nachlesen: Es gäbe ja nun Möglichkeiten und Kriterien der Überprüfung der Authentizität des gestützt Geschriebenen. Und weiter: „Damit hat nun jeder Stützer die Möglichkeit, sein eigenes Stützen zu überprüfen und sich selbst abzusichern, ob er den gestützt Schreibenden tatsächlich nur stützt oder auch inhaltlich beeinflusst”. Vielleicht geht es Ihnen wie mir, dass ich diesen Satz zweimal lesen musste, um die Ungeheuerlichkeit zu erkennen: Die Beweislast wird der befangenen, interessegeleiteten Instanz zugewiesen! Die Absicht derjenigen, die die entsprechenden Kriterien entwickelt haben, wird dadurch geradezu konterkariert. Man fällt um Dezennien in die FC-Geschichte zurück, denn gerade die subjektive Überzeugung von der Richtigkeit ihres Tuns führte die Befürworter zur Abschirmung gegen alle berechtigten Zweifel. Wer so argumentiert, begibt sich also ins ideologische Abseits und hat der Wissenschaftlichkeit seines Tuns eine ziemlich klare Absage erteilt.

In der Heilpädagogischen Forschung wird versucht, subjektiven Glaubensüberzeugungen solide empirische Forschung entgegenzusetzen; entsprechend werden Sie in dieser Ausgabe Beiträge vorfinden, die dem Kriterium soliden wissenschaftlichen Arbeitens und Argumentierens genügen.

An erster Stelle führt die Kölner Autorengruppe Iskenius-Emmler, Nußbeck und Haustein empirisch aufgearbeitete Aspekte der Kooperation zwischen Lehrkräften an Sonderschulen und Eltern bei der Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs auf; Förderlehrkräfte wurden danach gefragt, wie sie die Zusammenarbeit mit den Eltern bei der Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs der Kinder einschätzen. Es zeigt sich, dass die diesbezügliche Kooperation mit Eltern Probleme aufweist und neuer Impulse bedarf.

Der sich anschließende Forschungsbeitrag von Stephan Ellinger und Katja Koch hat die empirische Ermittlung des Einflusses des familiären Lebensstils auf den Schulerfolg in der Grundschule zum Inhalt. Mit Hilfe von Clusteranalysen werden drei Lebensstilgruppen ermittelt und deren Einfluss auf die bevorzugten Freizeitaktivitäten, die Einstellung zu Büchern und zu Pflichterfüllung bzw. Lebensgenuss aufgedeckt. Darüber hinaus werden pädagogisch bedeutsame Zusammenhänge zwischen der Lebensstilgruppe und den kindlichen Rechtschreibleistungen ermittelt, aus denen sich möglicherweise alternative Zugänge zur Beeinflussung von Minderleistungen im Rechtschreiben ableiten ließen.

In dem Beitrag von Gerald Matthes wird das Angebot komplexitätsreduzierter Aufgaben zur Förderung der Lernaktivität auf Schüler der 4. und 5. Grundschulklasse untersucht. Dabei handelt es sich um eine Strategie des Förderunterrichts, mit der die Anforderungen konsequent auf das individuelle Niveau des Lernenden zugeschnitten werden. Mit Hilfe kontrollierter Einzelfalluntersuchungen wird die Wirksamkeit der vorgeschlagenen Förderungsstrategie demonstriert.

Die Autorengruppe Kißgen, Drechsler, Fleck, Lechmann und Schleiffer hat sich ausführlich der Thematik „Autismus, Theory of Mind und figurative Sprache" in einer so differenzierten Weise theoretisch und empirisch zugewandt, dass die Redaktion der Heilpädagogischen Forschung sich dazu entschlossen hat, diesen umfänglichen Beitrag ungekürzt aufzunehmen. Überprüfen Sie, liebe Leserschaft, ob unsere Entscheidung für Sie nachvollziehbar ist!

Eine interessante Lektüre wünscht Ihnen

Ihr Herbert Goetze

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aktualisiert am 20.06.2005