Editorial von
Herbert Goetze aus: Heilpädagogische Forschung Nr. 1 2005
Liebe Leserin und lieber Leser der Heilpädagogischen
Forschung,
ich möchte Sie gern über eine Neuerung informieren, die diese Zeitschrift betrifft: Wir haben ein namhaftes Beiratsmitglied aus dem Ausland dazu gewinnen können, Herrn Prof. Dr. Alfred Schabmann von der Wiener Universität. Kollege Schabmann hat sich laufbahnbezogen schon früh mit sonderpädagogischen Fragestellungen befasst, z.B. mit einer Diplomarbeit zum Thema der Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten. Sein beruflicher Weg führte ihn über ein Praktikum am Ludwig-Boltzmann-Institut für Präventions- und Rehabilitationspsychologie in die psychologische Betreuung obdach- und arbeitsloser junger Männer und schließlich in die psychologisch-therapeutische Arbeit mit geistig und mehrfach behinderten Personen. Als Assistent am Institut für Psychologie der Universität Wien, Abteilung für Angewandte und Klinische Psychologie, wurde er in der Lehre und in der klinisch-psychologischen und in der rehabilitationspsychologischen Forschung tätig; er ist Gründer und Vorstand des Vereins „Psychologie im Dienste behinderter Menschen“. Seine Habilitationsschrift mit dem Titel „Frühes Lesen und Rechtschreiben bei ganzheitlichem oder synthetischem Erstleseunterricht“ stellte er 2001 fertig und erhielt daraufhin die venia docendi. Weitere Forschungsprojekte betrafen die Ausbildungssituation und Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit einer Lern- oder Geistigbehinderung, weiterhin eine Längsschnittuntersuchung zur Entwicklung von Lese-Rechtschreibkompetenz und zur sozialen Entwicklung während der Volksschulzeit sowie langfristige Auswirkungen der Lese-Rechtschreibschwäche. Seit 2002 ist er Außerordentlicher Professor und seit 2004 Vizedekan der Fakultät für Psychologie an der Universität Wien. Mit dieser Kurzcharakteristik des Werdeganges wird deutlich, dass Kollege Schabmann ausgezeichnete Voraussetzungen einbringt, um als Beiratsmitglied bei der Heilpädagogischen Forschung tätig zu werden.
Welchen Lesestoff dürfen Sie in dieser Ausgabe erwarten? An erster Stelle werden Elmar Souvignier und Katja Rühl von der Frankfurter Universität in einer empirischen Untersuchung zu klären versuchen, wie sich Leseverständnis, Lesestrategiewissen und Leseinteresse von Schülern mit Lernbehinderungen durch strategieorientierten Unterricht fördern lassen; denn bei lernbehinderten Schülern stellen geringe Lernvoraussetzungen und mangelndes Leseinteresse ungünstige Voraussetzungen für ein angemessenes Leseverständnis dar. Im Rahmen einer Interventionsuntersuchung wurde die Wirksamkeit eines strategieorientierten Unterrichtprogramms bei Lernbehinderten mit beachtlichem Erfolg überprüft.
Die Heilpädagogische Forschung hat sich zum Ziel gesetzt, bisher kaum beachtete sonderpädagogische Arbeitsfelder mit Zukunftsperspektive zu fokussieren. In diesem Sinn ist der zweite Beitrag von Margit Stein aus Kiel mit dem Titel ‚Lebenszufriedenheit – Ältere altersbeeinträchtigte Frauen aus betreuten Wohnanlagen und allein Lebende im Vergleich‘ zu sehen. Offensichtlich stehen nämlich Wohnsituation, Lebenszufriedenheit, Altersbehinderung und Pflegebedürftigkeit in einem bisher wenig diskutierten Zusammenhang. Der Beirat dieser Zeitschrift wünscht sich, dass diese Thematik weiterhin in die Forschung Eingang finden möge.
Immer wieder ist die spekulative Basis der gemeinsamen Unterrichtung beklagt worden; das Wiener Autorenpaar Gasteiger Klicpera und Klicpera bemüht sich schon seit Langem, der Integrationsdebatte eine empirische Basis zu geben; in dieser Arbeit geht es ihnen um die Thematik der Elterneinstellung zum integrativen Unterricht, wobei Eltern von Schülern in Integrationsklassen und in Sonderschulen verglichen wurden; lassen Sie sich von den Ergebnissen überraschen!
Zwei Berichte finden sich in dieser Ausgabe. Der erste Bericht aus eigenem Hause handelt von einem kürzlich angelaufenen Forschungsprojekt in den Ländern Brandenburg und Sachsen-Anhalt unter dem Titel ‚Spieltherapeutisch orientierte Interventionen für Kinder und Jugendliche an Schulen für Geistigbehinderte‘; dieses Thema ist in zweifacher Weise spannend: Einerseits nämlich gibt es kaum Angebote dieser Art an diesen Förderschulen, obwohl der Bedarf an psychosozialer Versorgung von Jahr zu Jahr wächst; andererseits ist hervorzuheben, dass nicht Therapeuten, sondern für diese Aufgabe in besonderer Weise ausgebildete Sonderpädagoginnen (als sog. Filialtherapeutinnen) das Vorhaben durchführen. Die ersten Ergebnisse lassen aufhorchen. Der zweite Bericht handelt von der AESF-Tagung vom November 2004 und unterrichtet Sie darüber, welche Themen derzeit ein aktuelles Forschungsinteresse finden.
Ihr Herbert Goetze
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