Heilpädagogische Forschung
 
Editorial von Herbert Goetze aus: Heilpädagogische Forschung Nr. 3 2004

Liebe Leserin und lieber Leser der Heilpädagogischen Forschung,

da haben wir es also zum wiederholten Mal: Die OECD-Bildungsforscher haben uns Deutschen attestiert, dass wir zu wenig Geld für Schulen und Hochschulen ausgeben. Informationen dieser Art sind ja seit Jahren bekannt und die Politik ist bisher geflissentlich darüber hinweg gegangen. Nach dem PISA-Debakel vor drei Jahren und nach den Ergebnissen der neuerlichen OECD-Studie über geradezu desaströse Zustände bei der deutschen überalterten Lehrerschaft lassen sich die Defizite weder ignorieren noch weiterhin schön reden: Im internationalen Vergleich liegt die Bildungsfinanzierung in Deutschland mit 4,3% Prozent am unteren Ende der OECD-Skala. Die OECD stellte auch fest, dass in keinem anderen Industrieland die soziale Herkunft so entscheidend für den Schulerfolg ist wie in Deutschland, denn wir schaffen es nun einmal nicht, Lernnachteile, die mit der Unterprivilegierung des Elternhauses zusammen hängen, auszugleichen; besonders betrifft dies Ausländerkinder, sie werden vergleichsweise schlechter gefördert. Manches ließe sich aus der PISA-Studie ergänzen, um das Debakel weiter zu umreißen, wobei die Sonderpädagogik noch nicht einmal ins Blickfeld gerückt ist. Als eine Lösung wird nun das perfide Wortspiel vom ‚Fördern durch Fordern‘ in die Diskussion gebracht, vermutlich von Leuten, die mit der Sonderpädagogik nicht viel anfangen können; denn die angewandte Sonderpädagogik ist nun einmal eine ‚Förderpädagogik‘; die notwendigen Reformen ausschließlich am Schüler selbst anzusetzen, hieße, den Förderbedarf vollständig zu ignorieren.

Für die Heilpädagogische Forschung ergibt sich automatisch, dass das Fördern im Mittelpunkt vieler Forschungsbemühungen stehen wird. Entsprechend werden Sie an erster Stelle eine Arbeit von Frau Hye-Jung Kim finden, aus der die Forderung nach mehr Förderung abzuleiten ist, es geht ihr um die Einführung der neuen Technologien in Werkstätten für behinderte Menschen. Das Hauptergebnis kann eigentlich nicht erstaunen, dass nämlich die Einführung von computertechnologisierten Arbeitsmitteln allein pädagogisch nicht ausreichend ist, dass vielmehr zusätzliche begleitende individuelle Förderungsmaßnahmen an den Arbeitsplätzen notwendig sind.

Ein ganz anderes Förder-Thema wird im zweiten Beitrag von Stephan Ellinger und Katja Koch behandelt, nämlich die Auswirkungen des häuslichen Vorleseverhaltens insbesondere auf die Schulleistungen. Es zeigt sich einmal mehr, dass ein privilegiertes Elternhaus das Vorlesen zum Bestandteil des familiären Bildungsklimas macht, wodurch die Kinder im Vorteil gegenüber anderen, nicht so privilegierten Kindern sind.

In der letzten Ausgabe der Heilpädagogischen Forschung war ein Therapiebericht von Ulrike Franke über eine hier zu Lande noch recht unbekannt gebliebene Spieltherapieförderung, Theraplay , erschienen. In diesem Heft nun findet sich eine aufwändige Evaluation dieses viel versprechenden therapeutischen Verfahrens von Herbert Wettig, Ulrike Franke und Helga Brand. Eine Kontrollgruppenuntersuchung erbrachte für die behandelten Kinder, dass die untersuchten Symptome nach einer durchschnittlichen Behandlungsdauer von 27 Sitzungen à 30 Minuten klinisch und statistisch signifikant verringert waren.

Der letzte Beitrag von Angela Gosch hat eine vergleichende Untersuchung von Verhaltensauffälligkeiten von Kindern und Jugendlichen mit Williams-Beuren-Syndrom (WBS) zum Inhalt. Als ein Hauptergebnis zeigte sich, dass Kinder und Jugendliche mit WBS – mit anderen Symptomgruppen verglichen – die meisten Verhaltensauffälligkeiten aufwiesen, woraus sich erhebliche Konsequenzen für den Förderbedarf dieser Zielgruppe ergeben.

Wir werden uns in der Heilpädagogischen Forschung auch künftig mit dem Thema der sonderpädagogischen Förderung befassen, ohne uns um törichte Debatten über billige Lösungen für das deutsche Bildungsdebakel zu kümmern,

Ihr Herbert Goetze

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aktualisiert am 07.11.2004