Heilpädagogische Forschung
 
Editorial von Herbert Goetze aus: Heilpädagogische Forschung Nr. 3 2003

Liebe Leserin und lieber Leser der Heilpädagogischen Forschung,

Vieles, was in wissenschaftlicher Hin- sicht das Licht der Veröffentlichungswelt erblickt, hat allzu oft geringe Wirkung und sinkt schon nach kurzer Zeit in den Orkus der Vergessenheit. Man kann diesen Umstand bedauern oder auch nicht, dass Publikationen in Buch- oder Zeitschriftenform längerfristig nicht den Widerhall finden, den sich Autoren oder Herausgeber einstmals gewünscht haben. Nicht anders ergeht es manchen Beiträgen der Heilpädagogischen Forschung. Wenn wir z.B. die ersten Jahrgänge unserer Zeitschrift Revue passieren lassen, dann erstaunt es, wie wenig Nachhaltigkeit gestrigen Erkenntnissen zukommt. Aus jüngster Zeit ist allerdings eine Ausnahme von dieser Regelhaftigkeit zu vermelden: In der Ausgabe 4/2002 der Heilpädagogischen Forschung sind Skeptiker einer umstrittenen Methode in Form einer Resolution zu Wort gekommen, deren Anliegen an anderen Orten bisher unbeachtet geblieben und deshalb nicht zur Geltung gekommen war. Die Resolution, die von namhaften Persönlichkeiten der akademischen Ebene unterzeichnet worden ist, hat ein Echo ausgelöst, das die Zielstellung der Resolution bei weitem übertraf. Die VertreterInnen der umstrittenen Methode zeigten sich ‚erschrocken', ‚bestürzt' und reagierten teilweise mit heftigen persönlichen Attacken gegen die Initiatorinnen der Resolution. Die Vorsitzende des zuständigen Bundesverbandes zeihte auch uns der einseitig negativen Parteilichkeit. In einer Stellungnahme des betreffenden Verbandes wurde gar eine Front zwischen den (guten) ‚Anwälten der Menschen mit Autismus' und jenen (bösen) Menschen aufgebaut, denen Ignoranz, eine ‚schädliche Darstellung', geringe Neigung zum Nachdenken, wenig Offenheit, Dogmatismus etc. vorgeworfen wird. Mit der Resolution, darin gipfelte die entsprechende Stellungnahme, würde das Recht auf die entsprechende Förderung der Betroffenen bedroht. Aus Fairnessgründen, so die Vorsitzende ergänzend, solle diese Stellungnahme zur Resolution in der Heilpädagogischen Forschung abgedruckt werden.

Die Leserschaft der Heilpädagogischen Forschung wird vermutlich gut nachvollziehen können, dass mit dem Abdruck des Beitrages von Theo Clauß (in der ersten Ausgabe dieses Jahres) die Pro-Seite ausführlich in der Heilpädagogischen Forschung zur Geltung gekommen ist. Offensichtlich erschien dieser Beitrag den Befürwortern der umstrittenen Methode als so gewichtig, dass es geraten schien, ihn simultan auch in der Zeitschrift des Bundesverbandes ‚Hilfe für das autistische Kind' erscheinen zu lassen. Zum Unfairness-Vorwurf sei angemerkt, dass in der betreffenden Ausgabe noch vier weitere Pro-Artikel, aber kein einziger kritischer Beitrag zu finden sind. In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift autismus (Oktober 2003) wird der Fairness insofern Rechnung getragen, als 3 Pro-Artikel einem kritischen Artikel von Prof. Paul Probst von der Universität Hamburg gegenüber stehen - jedoch mit dem ausdrücklichen Redaktionshinweis, dass hier lediglich die Meinung (!) des Autors dargestellt würde. Paul Probst hat darin den wissenschaftlichen Diskussionsstand insofern auf den Punkt gebracht, als er die theoretische, interne, externe und ethische Gültigkeit der umstrittenen Methode deutlich mit Untersuchungsbefunden in Frage stellt. Leider sah sich die betreffende Redaktion nicht dazu in der Lage, den vollständigen Text und die Literaturangaben des Beitrages abzudrucken, obwohl diesem Beitrag weniger Druckraum gewährt wurde als den Pro-Artikeln. Wie immer man zu dieser Angelegenheit steht: Die Resolution hat ein Echo ausgelöst, das so schnell nicht in Vergessenheit geraten wird. Was Sie an Forschungsmaterial in diesem Heft der Heilpädagogischen Forschung noch vorfinden werden, verdient ebenfalls, in Zukunft in das ‚Haus der Erinnerung' (Kästner) einzuziehen. Claudia Mähler und Claudia Buhrow gehen in einem sorgfältig geplanten und durchgeführten Experiment der Frage nach, ob Kinder mit Lernbehinderungen beim Verständnis von Hypothese und Evidenz im Vergleich zu einer regelhaften Kontrollgruppe Unterschiede aufweisen, womit im gegeben Fall ein deutliches Manko im wissenschaftlichen Denken des Lebensalltags aufgezeigt wäre. Zwei Beiträge dieser Ausgabe befassen sich mit dem Fach Sport bei Förderschülern. Lienert, Tiemann, Sherill und Myers verglichen die Bedenken von Lehrkräften hinsichtlich des integrativen Sportunterrichts, während Georg Theunissen und Ivonne Schmid Ergebnisse eines Forschungsprojektes zu spielorientierten Sport- und Bewegungsangeboten für geistig behinderte Erwachsene vorlegen. Die Wiener Kollegen Gasteiger-Klicpera und Klicpera haben ein bemerkenswertes Untersuchungsprojekt im Rahmen der empirischen Integrationsforschung - ein trotz ‚Integrationsbooms' bekanntlich deutlich vernachlässigter Bereich - gestartet und stellen hier ausführlich Ergebnisse zur Problematik elterlicher Entscheidung pro bzw. contra Sonderschulbesuch ihres Kindes vor; für den deutschsprachigen Bereich der erstmalige Versuch, die Elternperspektive empirisch zur Geltung zu bringen.
Wir freuen uns auf Ihr Leseinteresse!

Ihr Herbert Goetze

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aktualisiert am 26.01.2004