Editorial von Herbert Goetze aus: Heilpädagogische Forschung Nr. 4 2002
Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser
der Heilpädagogischen Forschung,
als Urheberinnen der folgenden Texte treten wir mit der Bitte an
Sie heran, die beigefügte Resolution zur Gestützten Kommunikation
zu unterzeichnen und sich mit der Veröffentlichung der Resolution
und den Namen der Unterzeichnenden in sonderpädagogischen und psychologischen
Zeitschriften einverstanden zu erklären. Hintergrund dieses ungewöhnlichen
Anliegens ist, dass sich die höchst umstrittene Methode der Gestützten
Kommunikation in Deutschland zunehmend verbreitet und vielerorts
Ratlosigkeit darüber herrscht, wie die Gestützte Kommunikation zu
bewerten sei. Sie wird schon lange nicht mehr nur bei Personen mit
Autismus eingesetzt, sondern auch bei jedweder Form der geistigen
Behinderung, z.B. auch bei Personen mit Down-Syndrom oder Rett-Syndrom.
Sie wird in Sonderschulen und integrativen Schulen eingesetzt, in
Einrichtungen der Behindertenhilfe und sogar in neuerer Zeit im
Bereich der Frühförderung. Zentren des Einsatzes sind nicht mehr
nur Köln, Berlin, München und Cottbus, die Nutzerinnen und Nutzer
der Gestützten Kommunikation finden sich inzwischen über das gesamte
Bundesgebiet verteilt und fast professionell organisiert mit einem
FC-Netz (http://www.fc-netz.de), einer Zeitschrift der FC-Schreiberinnen
und -Schreiber (Der bunte Vogel) und der Nutzung des großen Elternvereins
Hilfe für das autistische Kind zur Organisation der Verbreitung
der Methode der Gestützten Kommunikation. In der internationalen
Literatur liegen zahlreiche kritische Stellungnahmen vor (z.B. von
Uta Frith, Gina Green, Patricia Howlin, Barry M. Prizant, Howard
Shane, Stephen von Tetzchner, Amy M. Wetherby, Wolf Wolfensberger),
in Deutschland dagegen sind kritische Stel- lungnahmen kaum aufzufinden.
FC ist aber nicht nur ein individuelles Problem des Glaubens oder
Nichtglaubens an eine Methode, die sonst weiter keinen Schaden anrichten
kann. Zuallererst entsteht für die Betroffenen Personen mit schweren
kommunikativen und geistigen Behinderungen ein persönlicher Schaden
dadurch, dass mittels der durch die Stützerinnen und Stützer gesteuerten
FC-Botschaften ein falsches Bild von ihrer Persönlichkeit gezeichnet
wird, das wiederum dazu führt, dass angemessene, entwicklungsorientierte
und selbstbestimmte Hilfe- und Förderangebote vorenthalten werden.
Ihre Grund- rechte werden auf diese Weise ausgehebelt. Weiterhin
entsteht ein gesellschaftlicher Schaden, denn FC-Schreiberinnen
und -Schreiber werden inzwischen zunehmend in Regelschulen aufgenommen,
wo sie mit ihren Stützerinnen und Stützern bis zu sechs Schulstunden
täglich zubringen. Eltern und betreuende Personen erstreiten die
Finanzierung dieser Eins-zu-eins-Betreuung per Gericht, und Kostenträger
werden verurteilt, für die immensen Kosten (z.B. 500.000 Euro jährlich
in einem einzigen Landkreis) aufzukommen, während in Folge der immer
knapper werdenden Ressourcen für dringend angebrachte entwicklungsgemäße
Maßnahmen immer weniger Gelder zur Verfügung stehen. Da vielerorts
Ratlosigkeit darüber herrscht, wie die Gestützte Kommunikation zu
bewerten sei, möchten wir mit der Veröffentlichung unserer Resolution
darüber informieren, dass die Anwendung der Gestützten Kommunikation
Methode durch empirische Forschungsergebnisse widerlegt ist und
von namhaften Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern abgelehnt
wird. Wir fühlen uns unserem Gewissen verpflichtet, die Grundrechte
von Menschen mit schweren Behinderungen zu schützen, die auf Grund
ihrer kommunikativen Beeinträchtigungen dazu selbst kaum in der
Lage sind. Aktualität erhält das Thema zusätzlich dadurch, dass
innerhalb der im Juli diesen Jahres in Kraft getretenen Kommunikationshilfenverordnung
(KHV) neben seriösen alternativen Kommunikationsmethoden und -mitteln
für Menschen mit autistischer Störung auch die Gestützte Kommunikation
ausdrücklich genannt ist. Versuche unsererseits, mit den Verantwortlichen
Kontakt aufzunehmen, blieben ohne Reaktion. Wenn Sie mit uns gegen
die Ausbreitung dieser fragwürdigen Methode Stellung beziehen möchten,
können Sie eine Kopie des umseitigen Textes anfertigen und unterschrieben
an eine der u.g. Adressen senden bzw. Exemplare des Resolutionstextes
bei uns anfordern.
Mit freundlichen Grüßen
Adrienne Biermann Allmuth
Bober Susanne
Nußbeck
Adressen:
Dr. Adrienne Biermann
Universität Leipzig
Institut für Förderpädagogik
Marschnerstr. 29-31
04109 Leipzig
Dipl.Psych. Allmuth Bober
Universität Leipzig
Institut für Förderpädagogik
Marschnerstr. 29-31
04109 Leipzig PD
Dr. Susanne Nußbeck
Universität zu Köln
Heilpädagogische Fakultät
Klosterstr. 79 b
50931 Köln
Resolution zur Gestützten Kommunikation (engl.: Facilitated
Communication/FC)
Die Gestützte Kommunikation ist eine sonderpädagogische Methode,
bei der angenommen wird, dass durch sie Menschen mit Autismus und/oder
geistiger Behinderung befähigt werden können, mit anderen Menschen
in der Regel schriftsprachlich zu kommunizieren. Bei der Gestützten
Kommunikation wird die betreffende Person (FC-Schreiber) von einer
anderen Person (Stützer) am Handgelenk, Arm, Oberarm oder anderem
Körperteil "gestützt" und tippt so Buchstabe für Buchstabe sinnvolle
Botschaften.
Als Kommunikationsmethode ist die Technik in den neunziger Jahren
in den USA Gegenstand zahlreicher kontrollierter Studien gewesen.
Hierbei stellte sich heraus, dass trotz sorgfältiger Versuchsplanung
bei ca. 80% der beteiligten Versuchspersonen keinerlei authentische
Kommunikation nachgewiesen werden konnte und bei den übrigen 20%
keine praxisrelevanten Verbesserungen hinsichtlich der Kommunikation
auftraten. Bei 75% der entsprechend untersuchten Versuchspersonen
ließ sich jedoch eine inhaltliche Steuerung der FC-Botschaften durch
die stützenden Personen nachweisen (vgl. Biermann,1999). Kritische
Analysen der Studien mit für die Methode sprechenden Ergebnissen
deuten auf methodische Mängel der Untersuchungen hin (vgl. zuletzt
die kritische Rezension der Münchner Studie von Bober, 2000). Neben
den empirischen Grundlagen lassen sich auch keine theoretischen
Untermauerungen für die Methode der Gestützten Kommunikation in
den Fachgebieten des Autismus, der Spracherwerbsforschung und der
geistigen Behinderung heranziehen (vgl. Nußbeck, 2000). Die Vertreterinnen
und Vertreter der Gestützten Kommunikation treten vielmehr an, grundlegende
Erkenntnisse aus den Bereichen des Autismus, der geistigen Behinderung
und des Schriftspracherwerbs in Frage zu stellen und Autismus und
geistige Behinderung auf Grund ihrer vermeintlichen Ergebnisse als
überwiegend motorische / handlungspraktische Störungen neu zu definieren.
Dabei werden häufig die Inhalte der gestützt hervor gebrachten Botschaften
als Argumente für die Methode benutzt. Die Gestützte Kommunikation
ist somit eine in ihrer Effektivität widerlegte Technik. Eltern
und pädagogisch oder therapeutisch tätige Personen müssen über die
eindeutig negative Forschungslage aufgeklärt werden, bevor sie sich
für FC entscheiden. Da allerdings trotz der eindeutigen Befundlage
letztlich nicht ausgeschlossen werden kann, dass sehr vereinzelt
Menschen gestützt kommunizieren können, fordern wir, dass in jedem
Einzelfall unter kontrollierten Bedingungen die Authentizität der
FC-Botschaften nachgewiesen werden muss. Dies gilt insbesondere
in öffentlichen Einrichtungen, wenn schulische Maßnahmen, Förderprogramme,
Wohnsituationen etc. aufgrund von FC-Aussagen verändert werden sollen
und wenn öffentliche Gelder zur FC-Stütze beansprucht werden.
Diese Resolution stimmt in ihren Forderungen überein mit Resolutionen
und Positionspapieren der
o American Academy of Pediatrics (AAP, 1998),
o American Association on Mental Retardation (AAMR, 1994),
o American Psychological Association (APA, 1994),
o American Speech-Language-Hearing Association (ASHA, 1995),
o Behavior Analysis Association of Michigan (BAAM, 1993) und der
o American Academy of Child and Adolescent Psychiatry (AACAP, 1993).
Die Resolution zur Gestützten Kommunikatin wurde bisher unterzeichnet
von:
Prof. Dr. Heidemarie Adam, Institut für Förderpädagogik, Universität
Leipzig; Prof. Dr. Hedwig Amorosa, Heckscher Klinik für Kinder-
und Jugendpsychiatrie, München; Dr. Adrienne Biermann, Institut
für Förderpädagogik, Universität Leipzig; Dipl.Psych. Allmuth Bober,
Institut für Förderpädagogik, Universität Leipzig; Prof. Dr. Harald
Bode, Sozialpädiatrisches Zentrum der Universitätskinderklinik Universität
Ulm/ Donau; Prof. Dr. Johann Borchert, Institut für Heilpädagogik,
Universität Kiel; Prof. Dr. Udo Brack †, Humboldt-Universität Berlin;
Dipl.Psych. Hermann Cordes, Bremen; Prof. Dr. Manfred Dose, Taufkirchen;
Prof. Dr. Herbert Goetze, Institut für Sonderpädagogik, Universität
Potsdam; PD Dr. Alexander von Gontard, Universität Köln; Prof. Dr.
Dr. Christian Klicpera, Institut für Psychologie, Universität Wien;
Prof. Dr. Gerhard W. Lauth, Heilpädagogische Fakultät, Universität
Köln; Prof. Dr. Gerhard Lehmkuhl, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie
des Kindes- und Jugendalters, Universität Köln; Prof. Dr. Gudula
List, Heilpädagogische Fakultät, Universität Köln; Prof. Dr. Gerhard
Neuhäuser, Universität Gießen; PD Dr. Susanne Nußbeck, Heilpädagogische
Fakultät, Universität Köln; Prof. Dr. Franz Petermann, Klinische
Psychologie, Universität Bremen; Prof. Dr. Fritz Poustka, Klinik
für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Universität Frankfurt; Prof.
Dr. Paul Probst, Psychologisches Institut II, Universität Hamburg;
Prof. Dr. Hellgard Rauh, Universität Potsdam; Prof. Dr. Brigitte
Rollett, Ordinariat für Entwicklungspsychologie und Pädagogische
Psychologie, Universität Wien; PD Dr. Klaus Sarimski, Kinderzentrum
München; Prof. Dr. Hans-Georg Schlack, Kinderneurolog. Zentrum,
Bonn; Prof. Dr. Roland Schleiffer, Heilpädagogische Fakultät, Universität
Köln; Prof. Dr. Ralf Schlosser, Northeastern University, Boston,
USA; Prof. Dr. Martin Schmidt, Zentralinstitut für seelische Gesundheit,
Mannheim; Prof. Dr. Norbert Störmer, Fachbereich Sozialwesen, Hochschule
Zittau/Görlitz; Dr. Martin Wellenreuther, Institut für Pädagogik,
Universität Lüneburg; Prof. Dr. Andreas Warnke, Klinikum der Bayrischen
Julius-Maximilians-Universität Würzburg; Prof. Dr. Etta Wilken,
Fachbereich Erziehungswissenschaften, Universität Hannover.
Hiermit unterzeichne ich die vorstehende Resolution zur Gestützten
Kommunikation und erkläre mich mit der Veröffentlichung des Textes
und meines Namens in einschlägigen Fachzeitschriften einverstanden.
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